Der Alltag mit Kindern, Büchern und Sorgen

Karl Ove Knausgård will nach seinem letzten Band „Kämpfen“ nicht mehr Schreiben und erklärt auf 1269 Seiten warum

Ich hatte mir vorgenommen, nichts mehr über Knausgård zu schreiben, weil ohnehin in jeder Zeitung davon zu lesen war. Dann dachte ich, ich schreibe nur eine kurze Empfehlung, aber kurz und Knausgård passen nicht zusammen, scheint es ;-).

Karl Ove Knausgard

„Kämpfen“

In „Kämpfen“ den sechsten, letzten und umfangreichsten Band seines autobiographischen Projekts (die anderen Bände „Sterben“, „Lieben“, „Spielen“, „Leben“ und „Träumen“ wurden schon von mir besprochen), offenbart er den Preis für sein direktes, am echten Leben orientierten Schreibens. Und mir ist nun klar, warum das vorher noch niemand in dieser Radikalität gewagt hat und warum es keiner so schnell nachmachen wird.

„Der Roman war ein intimes Genre, und dieses Intime veränderte seinen Charakter nicht, weil achttausend Exemplare gedruckt wurden, denn er wurde nur von einzelnen Individuen gelesen und verließ niemals das Private. Wenn aber die Zeitungen über meinen Text schrieben, war es nicht länger mit dem Privaten verbunden, war es nicht länger mit dem Intimen verbunden, dann wurde es objektiv und öffentlich, losgelöst vom Ich und wenn es auch weiterhin mit mir und meiner Welt zu tun hatte, dann nur durch meinen Namen und dessen äußere Seite, „Knausgård“, ein Objekt unter andern Objekten – und erst dann wurde des Thema der Romans zu „etwas““. S931

„Kämpfen“ besteht aus zwei Romanteilen, unterbrochen vom Essay „Der Name und die Zahl“. Der erste Romanteil spielt vor der Veröffentlichung seines ersten Bandes „Sterben“. Sein Onkel, der Bruder seines Vaters will die Veröffentlichung unterbinden, weil er behauptet, dass die Darstellung des Todes des Vaters und der Großmutter nicht der Realität entsprechen und auch Karl Oves Rolle eine andere war. Karl Ove muss nun mit seinem Verlag und Anwälten überlegen, was rechtens ist und was nicht, zugleich muss er sich mit seiner Erinnerung auseinandersetzen und sich eingestehen, dass er sich bei machen Dingen nicht mehr ganz sicher ist. Und das schlimmste ist, das Verhältnis zu seinem Onkel Gunnar, den er immer als Ersatzvaterfigur gesehen hat, zerbricht.

Schlussendlich verzichtet er auf die Nennung des Namens seines Vaters in ersten Romanteil.
Und das nimmt Knausgård zum Anlass sich die Bedeutung des Namens anhand des unterbrechenden Essays anzusehen. Im Essayteil wird es finster, er beginnt mit einem Gedicht von Paul Celan, aber mündet dann in eine Betrachtung von Hitlers „Mein Kampf“ nach dem der Romanzyklus im Norwegischen benannt wurde. Auf fast 500 Seiten setzt sich Knausgård mit diesem Buch und mit dem Holocaust auseinander.

Da musste ich das Buch einmal ein paar Tage weglegen, ein Essay über Hitler gehört nicht unbedingt zu meiner Gute-Nacht-Lektüre. Ein wenig fühlte ich mich überfahren.
Trotzdem hat auch dieser Teil seine Berechtigung. Knausgård geht es hier um die Betrachtung des Sozialen, um das, was uns zu Menschen macht. Und diese sozialen Kräfte hat versucht mit seinem Romanprojekt aufzuzeigen:

„Die Kräfte die im sozialen Raum wirken, treten erst zu Tage, wenn seine Regeln überschritten werden, und sie sind mächtig und es ist fast unmöglich, nein, nein: es ist vollkommen unmöglich, sich von ihnen loszusagen.“ S897

Der letzte Romanteil berichtet wieder in alter Manier über das Leben nach der Veröffentlichung der ersten Bände. Er hat einen zeitlich engen Veröffentlichungsplan und damit strengen Schreibplan. Dadurch kommt sein Familienleben ins Wanken. Eine Ehekrise zeigt sich und seine Frau wird wieder krank. Schon als junge Frau war sie manisch depressiv. Hier kommt das Schreiben an einem Punkt, an dem es wirklich selbstzerstörerisch wird, wenn es an die Öffentlichkeit gelangt. Da muss auch denn Schluss sein.

„Es schmerzt, wenn keine Rücksicht genommen wird, und es schmerzt, keine Rücksicht zu nehmen. Dieser Roman hat allen in meiner Umgebung wehgetan, und er hat mir wehgetan, und in einigen Jahren, wenn sie groß genug sind, um ihn zu lesen, wird er meinen Kindern weh tun. Hätte ich ihn noch schmerzhafter werden lassen, wäre er noch wahrer geworden.“ S1104

Und so ist es verständlich, dass er mit diesem Satz endet:

„Danach werden wir den Zug nach Malmö nehmen, uns ins Auto setzen und zu unserem Haus fahren, und auf den ganzen Weg werde ich den Gedanken genießen, wirklich genießen, dass ich kein Schriftsteller mehr bin.“ S1269

Und mir stehen die Tränen in den Augen. Einerseits um meiner selbst willen, weil ich nie wieder so etwas Starkes zu lesen bekommen werde, anderseits weine ich aus Mitgefühl für Karl Ove Knausgård, für seine Frau Linda, für seine Kinder Vanja, Heidi und John, für seine Mutter Sissel, seinen Bruder Yngve, all seinen Freunden mit dem Namen Geir und auch um seinen Vater, dessen Name er schlußendlich verrät. Was haben all seine Lieben mitgemacht, damit ich das lesen konnte? Und ich weine um uns, um uns Menschen. Um all das was zu unseren Leben gehört.

Knausgård ist nicht egomanisch, wenn er sein „Ich“ verwendet. Er ist ganz ernsthaft und naiv auf der Suche nach der Wirklichkeit. Die Beschreibungen des Alltags machen das Leben aus. Das „Ich“ braucht er um das zu zeigen. Er will ergründen, das ist sein Beitrag zur Literaturgeschichte.

„Wenn ich einen Roman schreiben wollte, musste er von der Realität handeln, wie sie tatsächlich war, betrachtet von jemanden, der mit seinem Körper in ihr gefangen war, nicht jedoch mit dem Geist, der in etwas anderem gefangen war, in dem intensiven Wunsch sich aus der Schwüle des Trivialem zu erheben und in die klare würzige Luft des Großen aufzusteigen.“ S446

Er hat als zweite Komponente immer auch den Blick von außen, der des belesenen Essayisten. Und diese Kombination ist für mich unwiderstehlich. Denn was ist das Leben? Die Summe der Alltäglichkeiten. Und für das Große, dass es auch gibt, in den Alltäglichkeiten versteckt, braucht es Abstand. Braucht es Reflexion. Das ist die Wirklichkeit nach Knausgård.

„Das Amerika der Seele“

Aber ich hoffe, Karl Ove Knausgård wird nicht aufhören können zumindest sehr gute Essays zu schreiben. Ich bin froh, dass der Blick von weit weg auch ohne das „Ich“ funktioniert. In seinem Band „Das Amerika der Seele“ hat er gezeigt, was er kann. Hier schreibt er über seine Arbeit als Bibelübersetzer, betrachtet Bilder zeitgenössischer Künstler und geht auf literarische Werke ein. Das „Ich“ ist auch fallweise vertreten, aber nicht dominant. Die Krönung in diesem Sammelband ist sein Essay übers Scheißen. Ja, richtig gelesen, ich kichere jetzt pubertär. Es ist wirklich extrem unterhaltsam und zeigt nochmal die große Könnerschaft von Knausgård, das große, alltäglich Geschäft mit einem intellektuellem Überbau zu versehen. Ganz großes Schreiben!

Ich bleibe dran. Und du?
Man kann Knausgård lieben und jedes Fitzelchen von ihm lesen wollen, oder man findet ihn zu selbstbezogen und hält seine Bekenntnisse gar nicht aus. Wir geht es dir dabei? Hast du schon etwas von ihm gelesen?


Karl Ove Knausgård
„Kämpfen“
Luchterhand
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Gebundenes Buch mit Schutzumschlag ISBN: 978-3-630-87415-9
Erschienen: 22.05.2017

Karl Ove Knausgård
„Das Amerika der Seele“
Luchterhand
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Gebundenes Buch mit Schutzumschlag ISBN: 978-3-630-87455-5
Erschienen: 31.10.2016