Fruchtbar oder nicht fruchtbar, das ist hier die Frage

Gertraud Klemm verhandelt in „Muttergehäuse“ eine alternative Mutterschaft

Gertraud Klemm

An Gertraud Klemm bin ich schon einmal gescheitert. Nein, nicht am Lesen, sondern am Darüber schreiben. In meinem Blogarchiv befindet sich noch eine unfertige Rezension von ihrem letzten Roman „Aberland“.
Heute probiere ich es mit ihrem neuen Buch „Muttergehäuse“ und stelle wieder fest, weil schwer es mir fällt über diese Art der Literatur zu schreiben. Denn die Geschichten sind sehr nah an meiner eignen Lebenssituation, sodass mit Abstand nehmen schwer fällt.

„Muttergehäuse“

Ich denke, jede Frau muss ich im Laufe ihres Lebens mit ihrer Fruchtbarkeit beschäftigen. Irgendwann gibt es einen Punkt, an dem man eine Entscheidung treffen muss. Für oder gegen Kinder, denn die Zeit läuft. Und wenn man Mutter werden will, dann gibt es noch einen weiteren Knackpunkt. Ist es denn möglich? Bei der Protagonistin von „Muttergehäuse“ will es nicht klappen, was sie in eine gewisse Isolation und Sprachlosigkeit führt, die dann in sehr befreiende Wut umgewandelt wird. Die Frau sieht sich überall mit Fruchtbarkeit konfrontiert wird, selbst Obst wird zur persönlichen Anklage.

„Ich bin eine kernlose Traube aus Ostösterreich, prall, süß, dünnhäutig.“ S25

Im ersten Teil des Buches geht es um die Versuche Schwanger zu werden. Hier macht Gertraud Klemm sich im Namen aller verzweifelten Frauen Luft. Und das tut gut. So klare Worte! Im zweiten Teil geht es dann um die Familienwerdung. Die Protagonistin entscheidet sich für eine alternative Familie, also für Adoption eines Buben aus Südafrika. Auch hier ist der Ton noch wütend. Die Wut richtet sich an diejenigen, die definieren wollen, was eine normale Familie ist. Sie richtet sich auch gegen die Konsumindustrie für Babys, die versucht unerfahrene Eltern zu blenden, sie richtet sich auch gegen diejenigen Mütter, die Wettbewerbe abhalten, wer denn diese Nacht am wenigsten geschlafen hat. Ja, da gehöre ich auch manchmal dazu und fühle mich ertappt.

Warum ich die Bücher von Gertraud Klemm gerne lese, ist diese entfesselte Wut, die mich stellvertretend erleichtert. Sie sieht die Alltäglichkeiten im Leben einer gebildeten Frau in Österreich sehr klar und schafft es auf den Punkt zu bringen. Ich führe mich dann bestätigt, oder erwischt oder im besten Fall überrascht. Einige Aspekte sehe ich im Alltag nicht so klar.

„Muttergehäuse“ ist ein schmales Buch, leicht zum mitnehmen, leicht zu lesen. Zwischen den kurzen Kapitel sind auf schön afrikanisch gemusterten Seiten Träume, zumeist Alpträume, der Protagonistin festgehalten. Wer aber gerade an dem Punkt ist, um sich mit seiner eigenen Fruchtbarkeit auseinanderzusetzen, für den ist es besser, es im stillen Kämmerlein zu lesen, zu nahe kann es gehen. Das Buch soll Unterstüzung für verzweifelte Frauen bieten, denn die Autorin schreibt auf S 43. „Das Buch, das mich tröstet, muss ich mir wohl selbst schreiben.“ Und ich glaube, das kann das Buch leisten. Es kann Frauen trösten, ihnen zeigen, dass es nicht nur ihnen so geht, dass sie in geselliger Umgebung immer mit der Frage belästigt werden, wann es denn bei ihnen so weit ist und sie am liebsten herausschreien wollen: es funktioniert nicht.

„Aberland“

Jetzt noch ein Versuch zu „Aberland“. Hier gibt es schon ein Kind, aber die Mutter Franziska hadert mit ihrer Mutterschaft. Sie hadert auch mich ihrer Partnerschaft und ihrem Berufsleben. Nichts will so recht aufgehen, obwohl sie gebildet und gut in der Mittelschicht situiert ist. Vielleicht weil ihr das positive Vorbild fehlte? Ihre Mutter Elisabeth ist gerade damit beschäftigt in Würde zu altern, sieht aber auf ein Leben zurück, dass sich nicht durch ihre Aktivität auszeichnet, sondern dadurch, sich immer an die gesellschaftlichen Regeln gehalten zu haben. Beide Frauen sind abhängig von Männern. Wut ist da, zumindest bei der Tochter, ein wenig abgeklärte Resignation bei der Mutter.

Ja, Gertraud Klemm ist eine starke Frauenstimme, die gehört werden soll. Sie schreibt mit Pragmatismus und Engagement über Lebensentwürfe österreichischer Frauen, ohne den Zuckerguss, der für ein Hochganzmagazin notwendig wäre, aufzutragen. Ich wünsche mir noch, dass sie ihren Protagonistinnen neben der Wut auch ein wenig Hoffnung mitgibt, dass sie sie aktiv handeln lässt.

Zum Abschluss möchte ich Dir noch mein Lieblingszitat aus „Muttergehäuse“ mitgeben:

„Mutter sein heißt: Angst haben müssen“ […]

Ein Kind haben heißt: Nähe erleben. Ertragen.“ S111


Gertraud Klemm
Muttergehäuse“
Kremayr und Scheriau
Hardcover
160 Seiten, Format 12x20cm
2. Auflage, Kremayr & Scheriau 2016
19,90
ISBN: 978-3-218-01023-8

Gertraud Klemm
Aberland“
Literaturverlag Droschl
gebunden , 13 x 21 cm
2015
184 Seiten
19,00
ISBN: 9783854209638