Teil 5: Burgenländische Literatur
Klaus Hoffer erzählt von dem seltsamen, pannonischen Volk der Bieresch
Kennst du das auch? Du bist total begeistert von einem Buch und dann liest du es nach fast zehn Jahren noch einmal und es ist seltsam und ermüdend. Mir erging es „Bei den Bieresch“ von Klaus Hoffer so. Es war das erste Buch, das mir voller Begeisterung für meinen diesjährigen Schwerpunkt zu burgenländischen Literatur eingefallen ist. Daher freute ich mich schon drauf, es wieder zu lesen. Doch nach den ersten Seiten musste ich mich zur weiteren Lektüre zwingen. Wie hat sich meine Wahrnehmung verändert? Das Buch ist ja dasselbe geblieben.
Hans, ein junger Mann muss in den Seewinkel, zum Volk der Bieresch reisen, weil sein Onkel verstorben ist und es dort Sitte ist, dass der nächste Verwandte für ein Jahr den Platz des Verstorbenen einnehmen muss. Er schläft also mit seiner Tante im Ehebett und trägt mit einer Schubkarre die Post aus. Das hört sich nicht wahnsinnig aufregend an, doch bei den Bieresch läuft alles anders. Der schüchterne und zurückhaltende Hans muss zuerst das fremde Volk und seine Bräuche erst erforschen. Wege haben unterschiedliche Längen, abhängig davon, ob man sie als Hinweg oder Rückweg geht. Eine Person kann mehrere Namen haben, je nachdem wer von ihr spricht (Hans heißt später Halbwegs). Es gibt seltsame Bräuche. Aus dem Haus des Verstorbenen dürfen des Nachts Gegenstände entwendet werden. Durch das Trinken aus einem fremden Glas sollen die Gedanken des anderen gelesen werden können.
Diese Einführungen in das Leben der Bieresch werden von verschiedenen Dorfbewohnern in langen Monologen erklärt. »Wir leben nicht, wir erklären das Leben«, heißt es einmal. Und diese Monologe haben mich beim zweiten Lesen gelangweilt. Obwohl ich die Ideen und Gedanken, die darin aufgeworfen werden, spannend gefunden habe, aber bei der Fülle von Ungewohnten, stellte sich eine gewisse Ermüdung bei mir ein.
Denn fast jeder der Gedanken würde zum weiteren, selbstständigen Nachdenken und Interpretieren einladen, nur zerreißt es einem dann den Text. Der rote Faden ist für mich nicht erkennbar, beziehungsweise so verworren, dass ich ihn gar nicht suchen mag.
Vielleicht kann ich das anhand eines Beispiels erklären.
In einem kurzem Absatz geht es um Spiegel:
S 162 […] „„Sind Worte Schatten / werden Schatten Spiegel“, lautet der zweite Teil eines unserer Kinderreime, und er enthält die Warnung, die die man beim Lesen nie vergessen soll, denn wer falsch liest, sieht nur sich selbst.“
Die Aufmerksamkeit beim Lesen entscheidet also darüber, ob wir uns selbst im Text spiegeln und nur das herauslesen, was wir kennen, oder ob wir etwas neues unbekanntes vom Autor annehmen können. Wenn wir uns mit dem Gedanken des Autors auseinandersetzen wollen, dann braucht es ein Nachdenken, ein Innehalten. Einen Moment der Offenheit, in dem man die Worte in sich aufnimmt. Schafft man das nicht, gleiten sie ab wie bei einem Spiegel und man sieht nur sich selbst. Im besten Fall führt das zumindest zu einem Erkennen seiner selbst, im schlechtesten kann man mit dem Gelesenen gar nichts anfangen. Diese interessanten Gedanken werden aber im nächsten Sätzen im Text schon zu einem ganz anderen Thema gelenkt. Hier geht es dann plötzlich um ein Zitat aus einer Biereschlegende: „Ihr seid die Köder, wir sind die Schnur.“ Das wird kurz erläutert, denn der Inhalt des Satzes erklärt sich nicht von selbst, und dann geht es weiter zum nächsten Thema. Und der Leser muss all diese Gedanken zunächst entwirren, ordnen, zusammenfügen und wenn alles gut geht annehmen.
Dieser Ideenreichtum, diese Fülle an Gedanken hat mich bei der ersten Lektüre extrem begeistert. Der Seewinkel ist so etwas wie ein philosophisch, pannonische Wunderland, dessen Regeln, der fremde Hans nicht kennt. Das Ungewöhnliche ermöglicht einen Blick auf das Alltäglich, das wir jeden Tage sehen, aber nicht mehr erkennen. Ich sah den Roman als überquellende Schatzkiste.
Auch das Pannonische hatte ich vorher in noch keinem anderen Roman wahrgenommen. Ich konnte förmlich den Wind vom Neusiedlersee spüren. In meinem Kopf entstanden Streckhöfe und vertraute, ebene Landschaften als Hintergrund für die ungewöhnliche Handlung. Verschiedenen Orte des Seewinkels werden mit Namen genannt, aber entsprechen nicht unbedingt der Realität. Oslip, in Wirklichkeit eine Ortschaft, ist im Roman der Name einer Figur. Was auch noch charakteristisch ist, ist das Sprachenmischmasch, Worte werden aus dem Ungarischen und aus dem Kroatischen entnommen.
Dabei ist Klaus Hoffer ein grazstämmiger Autor und Übersetzer. Für diesen Roman, der ursprünglich aus zwei Teilen bestand, die in der Ausgabe von 2007 zusammengefasst wurden, wurde er 1979 und 1980 mit dem Rauriser Literaturpreis und dem Alfred Döblin-Preis ausgezeichnet. Das Buch hat ein Alleinstellungsmerkmal in der Österreichischen Literatur und wird auch im Literaturmuseum behandelt. Vergleiche mit Kafka und Borges fallen immer wieder in den Rezensionen. Der Roman ist wahrlich ein wahres Kunstwerk, er hat, wie eine Pfirsichkernschnitzerei der Bieresch, eine eigene Seele, das kann auch ich nicht leugnen.
Ich würde jeden Germanistikstudenten verstehen, wenn er über dieses Werk dissertieren würde. Es gibt enorm viel her. Die Lektüre braucht viel Zeit, weil man das Lesen immer wieder unterbrechen muss, um zu denken. Aber wenn man den Text gemütlich im Bett zu sich nehmen will, kann man schnell übersättigt sein.
Bei welchem Buch ist es dir so ergangen?
Hat sich in dir ein Buch durch mehrmaliges Lesen verändert?
Klaus Hoffer
„Bei den Bieresch“
Droschl Verlag, Graz – Wien 2007
ISBN 9783854207184
Gebunden, 269 Seiten, 21,00 €