„Glauben Sie an Engel?“, mit dieser Frage eröffnete der evangelische Pfarrer kürzlich die Predigt.
Engel haben Flügel, leuchten irgendwie und wenn sie auftauchen, will Gott etwas von uns.
Ich bin nicht sicher, ist meine Antwort darauf. Ich habe noch keinen gesehen.
Alles hat seine Zeit
Auch Karl Ove Knausgård hat sich in seinem zweiten Roman „Alles hat seine Zeit“ mit dieser Frage beschäftigt. Und er wäre nicht Karl Ove Knausgård, wenn es dabei nicht auch einen Bezug zu sich selbst geben würde.
Zum einen begegnet er der Frage, was es denn mit den Engel auf sich hat, auf theoretischer Ebene, also essayistisch, theologisch, historisch oder philosophisch. Zum anderen sucht er die Antwort fiktional in den Geschichten der Bibel. Vielleicht hört sich diese Mixtur willkürlich und trocken an, sie ist aber das Gegenteil. Das Buch ist gut komponiert, fesselnd, voll von Ideen und zugleich leicht geschrieben und gut zu lesen und sogar noch spannend.
Um zum Kern der alten Bibelgeschichten vorzudringen, erzählt Karl Ove den Brudermord oder die Sinflut extrem plastisch. Er verleiht den Figuren, die dort nur mit wenigen Sätzen beschrieben wurden, ein eigenes Leben. Er gibt ihnen Wünsche und Träume, er lässt sie essen, trinken, lieben leiden. Sie werden greifbar. Als die Sinflut kam, musste ich weinen.
Engelsforscher
Im essayistischem Part geht er auf den Spuren des fiktiven Engelforschers Antonius Bellori. Bellori hatte ein Engelserlebnis als Kind und widmete sein ganzes Leben der Erforschung der Engeln. Am Schluss blieb Enttäuschung und Desillusion. Die Engel sind gefallen, sie können nicht mehr zurück in den Himmel. Und das aus einem Grund, der mich als Leserin noch Tage nachher beschäftigt hat und mich auch jetzt noch zur Verzweiflung bringen kann.
Zum Schluss der Buches kommt Karl Ove in die Gegenwart von Norwegen. Hier kann man beobachten, wie Karls Oves literarisches Ich für seinen autobiographischen Romanzyklus entsteht. Hier heißt es noch Henrik und nicht „ich“. Der leidende, selbstzerfleischenden Henrik machte eines Tages, als er mit seinem Vater und seinem Bruder zum Fischen fuhr, eine sonderbare Entdeckung. Sie stießen dabei auf etwas, was die Antwort Karl Oves darauf sein könnte, ob er an Engel glaube und was wahrscheinlich auch der Grund dafür war, dieses Buch zu schreiben.
Was hat der Pfarrer in der Predigt geantwortet? Er meinte, wir alle können Engel sein. Engel sind Menschen, die im Namen Gottes Gutes tun. Das ist sehr tröstlich.
Karl Oves Antwort tröstet nicht und provoziert den Leser.
Auch das kann ein Roman!
Kannst Du an Engel glauben?
Karl Ove Knausgård
„Alles hat seine Zeit“
Roman
Aus dem Norwegischen von Paul Berf
Originaltitel: En Tid for Alt
Originalverlag: Aschehoug
Taschenbuch, Broschur, 640 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-442-73924-0
€ 10,00 [D] | € 10,30 [A] | CHF 13,90* (* empfohlener Verkaufspreis)
Verlag: btb
Erschienen: 06.04.2009
Bezieht der Autor des mit den gefallenen Engeln auf seine biblischen Studien? Oder auf etwas anderes? Denn rein biblisch gesehen gibt es zwar gefallene Engel, aber das sind nicht alle; der Großteil ist weiter im Himmel 😊 – also gar nicht sooo deprimierend
Das Buch klingt jedenfalls sehr interessant! Liebe Grüße!
Nein. Das mit den gefallenen Engeln wird mit Indizien aus der Bibel hinterlegt, aber sonst ist es eine Sichtweise des Autors. Ich mag hier nicht spoilern ;-), denn die Schlussfolgerung Karl Oves hat mich beim Lesen die eine Keule getroffen und dieser Überraschungseffekt macht eine Stärke des Buches aus.