Reise in die Familiengeschichte

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Vielleicht hieß die Großmutter des Vaters Esther, sicher kann der Vater es nicht sagen. Er nannte sie Babuschka. „Vielleicht Esther“ heißt deshalb das Buch von Katja Petrowskaja. Die Autorin begibt sich in diesem Werk auf die Spuren ihrer Familie. Petrowskaja hat mit einem Auszug aus diesem Buch 2013 den Bachmannpreis gewonnen.

Katja Petrowskaja ist in Kiew geboren und lebt jetzt in Berlin. Ihre Familie war größtenteils jüdisch, die Familie der Mutter kam aus Polen, die des Vaters aus Russland. Als Leser von „Vielleicht Esther“ begleitet man die Autorin auf Reisen. Man folgt ihr zu den Stationen der Familiengeschichte, in ein kleines polnisches Dorf, nach Kiew, nach Mauthausen, nach Auschwitz.
Die Familienmitglieder bleiben fragmentarisch, viele Fragen tauchen auf, die wenigsten können beantwortet werden. Hier wird kein fertig aufpolierter Familienepos angeboten, sondern ein Kampf mit der eigenen Identität, einer Suche nach Wurzeln.

„Die Vergangenheit betrog meine Erwartungen, sie entschlüpfte meinen Händen und beging einen Fauxpas nach dem anderen.“

Interessanterweise schrieb die Petrowskaja das Buch auf Deutsch, also nicht in ihrer Muttersprache, sondern in der Sprache der Stummen, wie sie in Russland genannt wird. Sie verwendet die Fremdsprache grandios, reflektiert auch oft über die Verwendung. Sie schreibt sehr klar. Dann wieder sehr bildlich. Dann wieder sehr emotional. Das Leid, das Ungewisse und die Enttäuschungen nahmen mich als Leser mit.

Und schlussendlich stellte mir das Buch die Frage nach meiner Familie. Wer waren sie, was taten sie? Waren sie damals die auf der anderen Seite?