Um Mut geht es

shot_1447762234212

Gestern hing ein kleiner Kreis von sehr konzentrierten Zuhörern fast eineinhalb Stunden an den Lippen der supernetten Autorin und Illustratorin Barbara Yelin. Sie stellte bei Thalia ihre Graphic Novel „Irmina“ vor.

Irmina ist eine ehrgeizige, etwas spröde junge Frau aus Stuttgart, die es 1934 mit einem Ausstauschprogramm nach London verschlägt. Sie will beruflich auf eigenen Beinen stehen und geht deshalb dort zur Sekretärinnenschule. Sie fühlt sich nicht wohl unter den Londonern, von denen sie immer wieder auf die politische Situation in Deutschland angesprochen wird. Das alles habe nichts mit ihr zu tun, ist ihre Antwort.

Sie lernt Howard kennen, einen schwarzen Studenten aus Barbados. Zwischen den beiden Außenseitern entwickelt sich eine Liebesgeschichte. Irmina geht das Geld aus und sie beschließt trotz Warnungen wieder nach Deutschland zurück zu fahren. Sie will dort Geld verdienen und wieder nach England, zu Howard, zurückkommen.

Sie findet Arbeit im Kriegsminsterium, dort wird ihr eine Versetzung nach London versprochen, die aufgrund der politischen Situation niemals erfolgt. Sie kratzt dennoch ihr Geld für ein Ticket zusammen, als sie einen Brief an Howard retour erhält, mit dem Vermerk, dass der Empfänger unbekannt verzogen ist.

Schließlich heiratet sie einen SS-Mann, einen aufstrebenden Architekten, der ihr ein wunderbares Leben mit dem Aufstieg der Nazis verspricht. Irmina lernt wegzuschauen. Sie zieht während der Novemberpogrome, an denen ihr Gatte offensichtlich beteiligt ist, die Vorhänge zu. Im Laufe des Krieges meldet sich dieser freiwillig und fällt. Zurück bleibt Irmina mit ihrem kleinen Sohn.

Kurz vor ihrer Pensionierung erhält sie wieder ein Lebenszeichen von Howard und mehr mag ich gar nicht verraten.

Im Endeffekt geht es um Mut. Den Mut den die junge Irmina noch gehabt hat, als sie Howard vor Rassisten in Schutz genommen hat. Den aber die mittelalte Irmina nicht aufgebracht hat, weil sie dadurch auf Vorteile für ihr eigenes Vorankommen hoffte. Und diesen Mangel an Mut, den die alte Irmina dem alten Howard dann gesteht.

Nach der Lektüre bin ich atemlos im Bett gesessen und dachte: das ist große Kunst! Die Geschichte hat mich so berührt, dass ich danach einige Zeit überlegt habe, wie es denn bei mir mit dem Mut aussieht und worauf ich dann in der Pension zurückblicken werde.

Die Geschichte von Irmina basiert vage auf Dokumenten, die Barbara Yelin von ihrer Großmutter gefunden hat. Sie ist super recherchiert und wunderbar gezeichnet.

Barbara Yelin hat auf Bleistiftzeichnungen wasservermalbare Buntstifte gelegt und fallweise mit weißer Goache aufgehellt. Die Zeichnungen wirken dadurch skizzenhaft, was dem inhaltlichen Rekonstruktionversuch der Großmuttergeschichte entspricht. Die Figuren gelingen ihr sehr gut. Die Bildhintergründe sind zum Teil von historischen Fotos übernommen. Das Medium der Graphic Novel ist auch gut gewählt, wenn es darum geht, die Sprachlosigkeit zwischen den Figuren zu zeigen.

Am Anschluss zur Lesung hatte ich die Gelegenheit mit der Autorin kurz zu plaudern, während sie mir diese wunderschöne Widmung ins Buch zeichnete. Ganz selig, wie ein kleines Kind, bin ich nach Hause gefahren.

Ich war das erste Mal bei einer Lesung im Thalia und ich will hier nicht unbedingt Werbung machen, aber nach der Lesung gab es Wein und es war wunderschön nachts im Halbdunkeln alleine durch Räume voller Bücher zu gehen.