So farbig sind die Inhalte

Olga Flor: „Ich in Gelb“

Olfa Flor:

Was hat die Farbe mit dem Inhalt zu tun?

Das „Ich“ im Buch ist die zwölfjährige Fashionbloggerin Alice, genannt nextGirl. Die zweite Figur ist Bianca, die die Blogbeiträge von Alice mit ihren eigenen Erfahrungen kommentiert. Sie ist ein wenig älter als Alice und ein Modell, das derzeit in der Gunst vom großen Modekünstler Josef steht, mit dem auch Alice befreundet ist. In Bianca lebt ein Wurm, der in ihr wandert und sie ausbeult, sie aber auch schlank hält. Alice deckt mit Hilfe von Bianca auf, wie junge Models behandelt und finanziell ausgenommen werden.

Inhaltlich geht es bei diesem Roman um Körper und um Entwicklung. Er bietet Einblicke in die Bloggerszene (wobei mein Bloggerselbstverständnis ein anderes ist) und Einblicke in die Modewelt.

Es ist ein unterhaltsames Buch, auch wenn manchmal der Ton für ein zwölfjährige nicht ganz glaubwürdig ist, ist es inhaltlich erhellend. Ja, und die Erwartungen an die Farbe, an den Buchtitel werden erfüllt: Mode und Egoismus, was will man mehr. Es gibt sogar einen realen Blog mit Auszügen aus dem Buch. Die Autorin versteht ihr Handwerk.

Sehr lesenswert. Geschmacksrichtung Zitrone, inhaltlich leicht unbequem, aber erfrischend.

David Pfeifer: „Die Rote Wand“

David Pfeifer:

Was hat die Farbe mit dem Inhalt zu tun?

Die Rote Wand ist ein Berg, der zur Zeit des ersten Weltkriegs an der Grenze von Österreich-Ungarn und Italien liegt. Damals macht sich ein fünfzehnjähriges Mädchen auf, um ihren als Soldat eingerückten Vater im Krieg zu suchen. Es verkleidet sich dabei als Bub und meldet sich freiwillig als Soldat bei den Standschützen. Das Mädchen knüpft dabei Freundschaften, muss über ihre Grenzen gehen, friert, hungert, sitzt in den Dolomiten fest, wird aber nicht enttarnt.

Das Mädchen gab es wirklich, Viktoria Savs war ihr Name. Der Autor wollte ihr Leben aber auch den absurden Krieg in den Bergen damals nachzeichen. Das wunderbare an dem Buch ist, dass es eine Liebe zu den Bergen transportiert. Ich muss zugeben, ich hätte das Buch abseits meiner Farbenchallenge nicht gelesen, aber es hat mich positiv überrascht. Die Geschichte hat mich gefesselt, obwohl der Autor bewusst Distanz zur Protagonistin hält, indem er sie immer nur das Mädchen nennt, ihr keinen Namen gibt. Die Hintergründe wirkten fundiert recherchiert und der Autor als gelernter Journalist, hat das Handwerkszeug um Geschichten erzählen.

Das Rot im Buch kann neben der Bezeichnung für den Berg auch für das im Krieg vergossene Blut stehen. Ich habe in meinem Inneren die Geschichte in steingrau und weißem Schnee und einigen Tropfen Blut gespeichert.

Katharina Kutil: „Rosa Blau beißt sich durch“

Katharina Kutil: Rosa Blau beißt sich durch

Was hat die Farbe mit dem Inhalt zu tun?

Rosa Blau ist schon seit Jahren mit Ernsti verheiratet. Aber nicht wirklich glücklich. Als dann noch Geldprobleme dazukommen, muss die optimistische und opferbereite Rosa das endlich auch erkennen. Aber Rosa emanzipiert sich mit der Hilfe der selbständigen Nachbarin und dem schönen Kollegen, sodass sich für den unappetitlichen Ernsti auch noch eine Lösung findet. Und dann kann ein neue Leben beginnen. Ein sehr unterhaltsamer Roman, der an eine mündliche Erzählform anknüpft und handwerklichen einwandfrei gearbeitet ist. Man muss ihn nicht gelesen haben, der Plot ist ein wenig vorhersehbar, aber wenn man ihn liest, dann mit Vergnügen.

Die Namensbezeichnung der Protagonistin mit Rosa Blau passt ganz gut, so weiß man in welchen Genre man gelandet ist. Und er passt auch insofern, dass Rosa recht drall und immer schön eingeölt ist. Und zu guter Letzt darf noch ein lilafarbener Gegenstand eine entscheidende Rolle spielen. Eine runde Sache.

Clemens J. Setz: „Indigo“

Clemens J. Setz

Was hat die Farbe mit dem Inhalt zu tun?

Kommt man in die Nähe von Indigo-Kindern, wird einem schlecht, schwindelig und man bekommt Kopfweh. Die Esotherik sagt, diese Kinder haben eine indigoblaue Aura. Wie geht man mit solchen Kindern um? Sperrt man sie in eigenen Häuser und eigene Schulen? Der dem Autor namensgleiche Mathematiklehrer Clemens Setz unterrichtete an einer solchen Schule, leidet seither noch fallweise an den Symptomen und versucht Jahre später herauszubekommen, wer Ferenc ist, von dem die Kinder dort immer gesprochen haben und wohin ausgewählte Kinder weggebracht werden? Das Buch versucht das Thema der Indigokinder anhand des Lehrers, anhand eines isolierten Kindes und anhand eines aus der Krankheit herausgewachsenen jungen Mannes zu beleuchten. Der Autor benutzt verschieden Textsorten, um das Thema ein wenig zu erläutern. Warum man aber dauernd mit geschunden Tieren zu tun hat und seltsamen Nerdwissen, ist mir nicht ganz klar. Sowie die Rätsel auch nicht zu meiner Zufriedenheit gelöst werden. Es werden wichtige Themen angerissen, keine Frage, aber das Quäntchen zum Meisterwerk fehlt, das hat auch die Jury des Deutschen Buchpreises anscheinend so empfunden.

Die Farbe spielt nur insofern eine Rolle, als sie als Krankheitsbezeichnung verwendet wird. Vielleicht ist es auch ein Blau im Sinne von unendlich oder ungreifbar, weil die Krankheit nicht festzumachen ist, aber auch nicht heilbar und auch die Kinder dadurch physisch nicht zu berühren sind und in einer Distanz zu den andern Menschen leben müssen. Beim Lesen schwebte mir eher ein verstörendes, surrendes Zickzackmuster in Grau vor.

Heinrich Steinfeld: „Das grüne Rollo“

Heinrich Steinfest

Was hat die Farbe mit dem Inhalt zu tun?

Jeden Abend pünktlich um 23:02 taucht im Zimmer des zehnjährigen Theos ein grünes Rollo auf, das weder er, noch seine Eltern dort montiert haben. Das Rollo führt Theo in eine andere Welt, in der er ein Mädchen retten, das von Männern mit Feldstechern als Augen wird. In dieser Welt liegt über allem ein grünes Licht und die Naturgesetze sind auch andere, aber Theo findet den LKW-Fahrer Béla, der ihm hilft, sich dort zurechtzufinden und das Mädchen zu befreien. Das Messer Lucian und das Mädchen kann Theo wieder zurückbringen in seine Welt bringen. Das Mädchen ist in der realen Welt nun seine Schwester Anna, doch damit endet die Geschichte noch nicht. Vierzig Jahre später taucht das Rollo wieder in Theos Leben auf und dahinter wartet noch immer Béla.

Grünes Licht verfremdet unsere Farbwahrnehmung am extremsten. Menschliche Haut schaut plötzlich sehr ungesund aus. Insofern ist die Farbwahl gelungen und zudem auch im Buch konsequent umgesetzt. Die Handlung in der grünen Welt ist mit grünen Buchstaben gedruckt. Diese Mehrfarbigkeit hat mich an eines meiner schönsten kindlichen Leseerlebnisse, an die Lektüre der „Unendlichen Geschichte“ von Michael Ende erinnert. Genauso wie damals bin ich dem Autor völlig unkritisch und sehr neugierig in das phantastische Geschehen gefolgt. Die Aufklärung der Anomalien am Schluss hätte es für mich nicht gebraucht. Ich hätte an die grüne Welt gerne weiter geglaubt und begegne seither meine orangefarbenen Vorhängen ein wenig anders. Ich behalte sie im Auge.

Was ich aus dem Regenbogen mitgenommen habe

Die Farbe des Buchtitels muss nicht unbedingt zur Wohnzimmereinrichtung passen, da die Coverfarbe oftmals unabhängig von der Titelfarbe ist. In einigen Fällen passen zumindest die Geschichten zu den farbigen Titeln, wie in „Ich in Gelb“ oder „Das grüne Rollo“, bei einigen aber auch nicht unbedingt wie in „Indigo“. Interessant ist, dass vier von fünf Titel jugendliche Protagonisten haben: die zwölfjährige Alice in Gelb, das kämpfende Mädchen auf der Roten Wand, die Indigo-Kinder und der zehnjährige Theo hinter dem grünen Rollo. Das muss kein Zufall sein. Streifen wir doch auch als Erwachsener die Farben ab und kleiden uns weniger bunt, als als Kind.

Daher beende ich nun meinen Beitrag zum maximaCOMEPASS-Award und schlüpfe in das grüne Ringelshirt und die rote Hose, ich packe eine Graphic Novel (dazu in Kürze mehr) in meine goldene Tasche und mache mich auf den Weg ins Kunsthistorische Museum, um die Farben der alten Meister zu betrachten. Rot und Blau bei Rubens ist göttlich.

Hier geht es zum Making Of und zu den bibliografischen Angaben.