Bücher im Kopf
Raynor Winn hatte ein Buch gelesen über eine Langstreckenwanderung entlang des britischen South West Coast Path. Und in dem Moment als der Exekutor an ihrer Tür stand und sie und ihr Mann den Tiefpunkt ihres Lebens erreicht zu haben glaubten, fiel ihr das Buch wieder ein und sie entwickelte einen Plan.
Auch Raynor Winns Buch fiel mir wieder ein. Ich hatte ihre Wanderbeschreibung „Der Salzpfad“ im Herbst gelesen und schnell wieder in die Bücherei zurückgetragen, um mich vor dem zweiten Lockdown mit frischen Büchern zu versorgen.
Nach der Rückgabe dachte ich von Zeit zur Zeit an das Buch, die spezielle Stimmung im Buch wirkte noch lange in mir nach. Nachdem zweiten Lockdown wartete das Buch wieder in der Auslage der Bücherei auf mich. Und ich las das als Aufforderung darüber zu schreiben. Was ist an diesem Buch so besonderes?
Hoffnungslos
Raynor Winn und ihr Mann Moth hatten in ein Geschäft eines Freundes investiert und bei dessen Untergang hafteten sie finanziell mit. Sie verloren ihre Farm, auf der ihre Kinder aufgewachsen waren und damit auch ihre Lebensgrundlage. Die Kinder waren inzwischen schon erwachsen, kämpften aber selber darum, finanziell durchzukommen und brauchten noch fallweise die Unterstützung der Eltern. Das Paar hatte einen zehrenden Rechtsstreit verloren, war obdachlos und zudem war Moth krank. Bei ihm wurde CBD diagnostiziert, eine langsam fortschreitende neurodegenerative Erkrankung mit Parkinson-Symptomen.
Wandern, statt davonlaufen
In dieser hoffnungslosen Situation kratzten Raynor und Moth das Geld für ein Zelt und Rucksäcke zusammen und machten sich auf den Weg. Sie übernachteten im Zelt und versorgen sich mittels minimaler Einkünfte selbst. Zuerst waren sie nicht sicher, ob sie es überhaupt bis zur Hälfte der Wanderung zum Land’s End, dem südöstlichsten Punkt Englands schaffen würden. Aber sie schafften es, überwinterten bei einer Freundin und nahmen dann den zweiten Teil der Wanderung auf. Raynor beschreibt die schöne, manchmal schroffe und unwirtliche Landschaft und die Ortschaften durch die sie kamen. Sie erzählt, wie sie von anderen Menschen aufgenommen wurden. Nach dem Geständnis ihrer Obdachlosigkeit folgte oft betretenes Schweigen und die baldige Verabschiedung. Sie gingen dazu über, ihre finanzielle Situation nicht mehr zu erwähnen.
Ein Tiefpunkt, über den Ray berichtet, waren die Tage als Moth seine Medikamente absetze und schrecklich litt, sodass sie nicht weitergehen konnten. Sie schreibt über anstrengende Wetterkapriolen und über Hunger und Verzweiflung.
Doch irgendwann am Weg verließ sie die Trauer und der Schmerz über den Verlust ihrer Farm. Ein stabiler, neuer Zustand stellte sich ein. Moth, der anfangs lange brauchte, um in der Früh vom Boden hochzukommen, stand bald leichtfüßig auf und hatte keine Schmerzen mehr beim Gehen. Ihm ging es viel besser, die Bewegung tat ihm gut, entgegen der Prognose der Ärzte. Die salzige Luft der Küste verändert die beiden Wanderer.
Das Wesentliche
Das Buch erschien in der Reiseschiene des Dumont Verlags, ist aber viel mehr als eine Wanderbeschreibung. Die wahre Geschichte von Raynor und Moth gibt Hoffnung. Das Buch gibt uns die Botschaft mit, auch wenn die Lage aussichtslos erscheint, kann man sie selbst in die Hand nehmen und das Leben gestalten. Und die Geschichte erzählt von der Einfachheit des Lebens, von dem was der Mensch tragen kann, nicht nur im physischen Sinn, sondern auch im psychischen. Mit Zelt und Rucksack auf die wesentlichen Dinge reduziert, liefern sich die beiden sich innig zugetaneren Menschen der Natur aus, vertrauen ihr und vertrauen ihren Kräften und erfahren Heilung. Sie bekommen an dem Punkt, an dem sie nicht mehr weiter wissen, und erhalten dann Hoffnung und Zuversicht und viele schöne gemeinsame, stärkende Momente. Sie können in eine gute Zukunft blicken. Sehr motivierend, sehr ehrlich!

Raynor Winn
„Der Salzpfad“
Originaltitel: Der Salzpfad
Originalverlag: DUMONT REISEVERLAG
Taschenbuch, Broschur, ca. 336 Seiten, 12,5 x 18,7 cm
8 Seiten farbiger Bildteil; s/w Layout-Grafik
ca. € 10,00 [D] inkl. MwSt.
ca. € 10,30 [A] | ca. CHF 14,50 * (* empf. VK-Preis)
ISBN: 978-3-442-14268-2
Erscheint am 21. Juni 2021
Mein Exemplar: Dumont Verlag, 2. Auflage 2019, ISBN: 978-3-7701-6688-6