„Vier fürs Klima – Wie unsere Familie versucht CO2-neutral zu leben“ vom Petra Pinzler und Günther Wessel ist ein sehr vergnüglich zu lesender Erfahrungsbericht, der zum Nachahmen anregt.
Hoher Verbrauch
Die zwölfjährige Franziska kommt eines Tages von der Schule nach Hause und will es genau wissen. Angeregt vom Ethikunterricht ermittelt sie gemeinsam mit ihrem Vater Günther Wessel den familiären CO2-Verbrauch. Die beiden sind über das Ergebnis von 42 Tonnen CO2 für die gesamte Familie entsetzt, weil sie angenommen haben, ohnehin umweltbewußt zu sein. Damit liegen sie bei 10,5 Tonnen pro Person und damit knapp unter dem deutschen Durchschnitt von ca. 11 Tonnen CO2 pro Person. Um das Klimaziel von maximal 2 Grad plus Erderwärmung zu erreichen, dürften jeder Mensch nur 2,2 Tonnen CO2/Jahr verbrauchen. Doch das zu schaffen, ist für die deutsche Familie unmöglich, schon alleine weil der Klimarechner jeder Person 1 Tonne CO2 für den Anteil am staatlichen Verbrauch zuweist.
Ein Jahr CO2 sparen
Mit dem Wissen, dass das Ziel von 2,2 Tonnen pro Person nicht zu schaffen sein wird, macht sich die hartnäckige Familie, in der beide Eltern Journalisten sind, trotzdem daran CO2 Einsparungen nach besten Wissen und Gewissen ein Jahr lang zu versuchen. Als erstes nehmen sie eine Energieberatung in Anspruch. Der Energieberater erklärt, wo im Haus die Familie einsparen kann. Soviel sei verraten: Die zugigen Fenster last die Familie erst mit Ende des Jahres, als es wieder kälter wird, sanieren.
Der sechzehnjährige Jakob beginnt über seinen hohen Apfelkonsum nachzudenken. Am Beispiel des Apfels beschäftigt sich die Familie mit der Herkunft und Qualität von Lebensmitteln. Die große Frage ist, was ist besser: Bio oder regional? Wie zu erwarten gewinnt der Apfel auf dem Baum im eignen Garten. Heimische Äpfel sind, nur wenn sie unter 6 Monate in Kühlhäusern gelagert sind, noch besser als importierte. Und Bio ist generell auch besser fürs CO2.
Dann geht es um die Urlaubsplanung, was auch zum Thema Kompensationszahlungen der Flugmeilen führt. Diese Möglichkeit wird im Buch als Art Ablasshandel um das Gewissen reinzuwaschen ausgearbeitet und trotzdem ist es eine gute Möglichkeit, für seine Klimasünden zu büßen. Im April beschäftigen sie sich mit dem Auto und den Verkehrsmöglichkeiten. Die Familie bemüht sich, auf Autofahrten zu verzichten und ärgert sich im Nachhinein, wenn sie aus Bequemlichkeit doch wieder zum Zündschlüssel gegriffen hat. Ein weiteres Thema ist das nachhaltige Einkaufen. Vater Günther ersteht einen Lastenanhänger fürs Fahrrad und erntet beim Wochenendkauf bewundernde Blicke. Im August wird der wunde Punkt von Mutter Petra angegriffen: der Kleiderschrank. Auch Hobbies, Arbeit und Bücher werden belichtet. Die wenigsten Bücher werden wirklich nachhaltig produziert, lernt die Familie, die eine Druckerei besuchen darf. Immer wieder formuliert die Familie auch Wünsche an die Politik, die die CO2-Reduktion in vielen Punkten beschleunigen könnte. Mit dem Kapitel „Richtig Schenken und Feste feiern“ endet das Jahr, aber nicht das Experiment. Die Einstellung der Familie hat sich klar geändert, die Ambitionan CO2 einzusparen werden Alltag werden.
Familienabende
Ein Ziel des Experiments und damit auch des Buches, war, das Halbwissen zu konkretisieren, möglichst mit Studien zu untermauern oder mit Experten zu besprechen und dann danach zu handeln. Pro Kapitel wird ein Monat behandelt und ein Thema im Jahr.
Es ist ein persönlicher Bericht über die Suche der Famile Pinzler/Wessel. Als Leser findet man sich nicht in einem faktenbasierten Buch mit erhobenen Zeigefinger wieder, sondern beim Abendessen am Familientisch, beim Urlaub in Frankreich, bei Rechercheabenden oder am Rundgang durchs Haus mit dem Energieberater. Die Familie nimmt einen mit auf ihre Erfahrungsreise. Sie rechnet zwar immer wieder, aber das darf man,wenn einem die Zahlen nicht liegen, laut Autoren auch ruhig mal überspringen.
Dieser erzählende Ton ist auch einer Erfahrung geschuldet, die die Erwachsenen machten. Sie werden im Bekanntenkreis schnell als Besserwisserische Ökos abgestempelt und beginnen ganz professionell als Journalisten zu überlegen, wie sie über die Umweltthemen, die ihnen in diesem Jahr sehr wichtig geworden sind, so reden können, dass andere Menschen leicht Anknüpfungspunkte finden. Den Zugang finden sie, über das Erzählen von Geschichten, dem Bericht ihres persönlichen Weges, ihrem Kampf mit dem schlechten Gewissen. Fakten werden auch uns, dem Leser so präsentiert, dass zum Beispiel ein Familienmitglied aus Wikipedia vorliest und wir dann die familiäre Diskussion erleben dürfen.
Das macht das Buch extrem lebendig. Es ist sehr schnell und einfach zu lesen. Die abstrakten Zahlen werden hier mit konkreten Handlungen verbunden. Man erkennt sich in einzelnen Fragestellungen leicht wieder. Ich habe nebenbei eine Liste von To Dos für unsere Wohnung mitgeschrieben, die ich zum Teil schon umgesetzt habe. Ein unterhaltsames, lohnendes Buch, dass man auch getrost Teenagern zum Lesen geben kann. Es ist als eine der wenigen Bücher mit dem blauen Engel zertifiziert ist, also dem Siegel das höchstmöglich nachhaltigen Produktion ausgezeichnet. Ich hatte meine Exemplar aus der Bücherei, was natürlich positive Klimapunkte gibt, solange ich zu Fuß hingehen, die Straßenbahn nehme und nicht mit dem Auto hinfahre, um es zu entlehnen.
Schande über mich!
Wenn es dich interessiert, kannst du auch deinen CO2-Fußabdruck innerhalb von 10 Minuten ausrechnen. Hier ist der Link zum Klimarechner, den die Familie Pinzler/Wessel benutzt hat.
Meiner Fussabdruck ist beschämende 9,64 Tonnen CO2 pro Jahr, damit mit ich unter dem Deutschen Durchschnitt, aber von 2,2 extrem weit entfernt. Wenn alle so vorbildlich leben würde wie ich, bräuchten wir „nur“ 2,34 Planeten, sagt mir der Klimarechner. Diese Tatsache treibt mir die Tränen in die Augen! Denn auch ich halte mich für sehr umweltbewusst. Ich kaufe zum Teil Zero Waste ein, habe ein Jahr Konsumverweigerung betrieben, beides kann der Klimarechner gar nicht so konkret abbilden. Ausschlaggebend für das CO2 ist wirklich die Mobilität. Das hinterlässt mich mit der großen Frage: wie komme ich klimaschonend und einfach ans Meer?
Weitere Klimarechner findest du hier:
- Österreichischer Klimarechner: https://www.mein-fussabdruck.at/#start
- https://utopia.de/ratgeber/co2-rechner-5-webseiten-mit-denen-du-deine-klimabilanz-errechnen-kannst/
Petra Pinzler& Günther Wessel
„Vier fürs Klima – Wie unsere Familie versucht, CO2-neutral zu leben“
Verlag: Droemer HC
Erscheinungstermin: 01.03.2018
304 Seiten
18,00€ (D)
ISBN: 978-3-426-27732-4