Abweisend sind nicht nur die Häuser

In Zeiten, wenn es nicht ganz so rund läuft, sind mir gute, herzerwärmende Bücher noch wichtiger. Meine Nachbarin hat mit „Altes Land“ von Dörte Hansen geborgt, das mir sehr viel Freude gemacht hat, obwohl ich auch die eine oder andere Träne beim Lesen zerdrücken musste.

Altes Land

Die fünfjährige Vera kommt mit ihrer Mutter Hildegard von Kamcke als polnisches Flüchtlingskind auf einen norddeutschen Hof. Das reetgedeckte Fachwerkhaus ist ihr unheimlich, die Hausbesitzerin Ida Eckhoff ist unfreundlich und ihre plattdeutschen Reden sind voller Vorurteile. Der Sohn des Hauses, der schwer traumatisiert Karl, der mit nur einem Bein aus dem Krieg gekommen ist, verschaut sich in die theatralische Musikerin Hildegard, was seine Mutter Ida gar nicht gutheißt. Ein Kampf zwischen den Frauen entbrennt, irgendwann verbleiben nur mehr Karl und Vera im Haus.

Vera wird Zahnärztin, sie lebt ein unabhängiges Leben und ist aber an das unheimliche Gebäude gebunden. Mit ihrem pedantischen Nachbarn, dem gleichalten Hinni (=Heinrich) Lührs pflegt sie eine Freundschaft auf Basis einer Hassliebe.

Später nimmt sie im Haus auch ihre Nichte Anne auf, die mit ihrem kleinen Sohn Zuflucht sucht, weil der Kindsvater sich in seine Lektorin verliebt hat. Der kulturelle Bruch von boboesken Hamburg zum schroffen Landleben ist stark. Die beiden Neulinge brauchen eine Weile um sich einzufinden, doch das unheimlich, ächzende Haus wird auch für sie zum Heim.

Fehlhaltungen

Die Stärke des Buches ist eine schlüssige Erzählung mit starken Charakteren, die trotz ihrer Kauzigkeit nicht klischeehaft gezeichnet sind. Ein durchlaufendes Thema ist die Traumatisierung durch Flucht, sei es bei der stolzen Hildegard die mit der kleinen Vera Ostpreußen verlassen musste oder dann bei Anne, die aus ihrem Heim gehen muss, weil ihr Kleinfamilienleben in Scherben liegt. Das Buch erzählt wie die Schmerzen, die Fehlhaltungen, die Vermeidungen über die Generationen weitergeben werden. Anne versteht erst später, warum ihre Großmutter Hildegard so kalt wirkte, dass das die von ihr gewählte Form war, um durchzukommen. Die Kälte wurde über die Generationen weitergegeben und darf nun langsam in Sicherheit auftauen.

Ein Frauenbuch?

Ein Frauenbuch, meinten die werten Kolleginnen des Lesekreises. Ich denke nicht so, neben der Geschichte der weiblichen Hauptfiguren ist es auch eine Charakterstudie eines friesischen Landstriches. Anhand vieler Details werden die schroffen Einheimischen, die plattdeutsche Sprache und die dem Meer abgerungene Landschaft geschildert. Die Suche der Städter nach dem idyllischen Landleben birgt einen humoristischen Erzählstrang. „Altes Land“ ist ein feinsinniges Buch, das mit viel Menschenkenntnis und einem großen Herzen geschrieben wurde.

20200120 Altes Land


Dörte Hansen
„Altes Land“
Originalverlag: Knaus, München 2015
Penguin Verlag
Taschenbuch, Klappenbroschur, 304 Seiten, 12,5 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-328-10386-8
Erschienen am 15. Oktober 2018
€ 12,00 [D] inkl. MwSt.
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