Der Rückhalt junger Frauen

Auch wenn die Themen der Autorin Petra Puik nicht burgenlandspezifisch sind, nehme ich sie gerne in die Serie über burgenländische Literatur auf. Petra Piuk wuchs in Güssing auf und lebt heute in Wien. Sie absolvierte (wie ich) die Leondinger Akademie für Literatur und arbeitet als Fernsehredakteurin. Diese Arbeit dürfte sie auch zu ihrem ersten Roman „Lucy fliegt“ inspiriert haben.

Petra Piuk "Lucy fliegt", Realityshow, Castingshow

Lucy fliegt

Linda nennt sich selbst Lucy, weil sie Schauspielerin werden will und sich dieser Name bei ihrer Oscar-Dankesrede besser anhören wird. Sie sitzt, trotz großer Flugangst, zum ersten Mal in einem Flugzeug. Um sich zu beruhigen, ruf sie sich auf, was sie alles schon geschafft hat. Sie hat es aus Mamas Bauch geschafft, obwohl der Papa wollte, dass Mama das Kind abtreibt. Der Papa hat sie später verlassen, dafür hat der der neue Lebensgefährte der Mutter nicht nur über ihren Kopf gestreichelt. Die Mama hat am Würstelstand gearbeitet. Linda wurde in der Schule ausgelacht und gehänselt, obwohl sie immer die schönste war und den Buben nur allzu gerne eine Freude gemacht hat. Die Schule schloss sie nicht ab. Ihr Weg führte über einen Job als Kellnerin, zur Aufnahmeprüfung für Stewardessen, weiter zu einer Schauspielschule, die sie sich nur leisten konnte, weil sie als Hostess arbeitete. Der Lebenslauf glänzt nicht, aber Lucy glaubt an einen Durchbruch als Schauspielerin. Im inneren Monolog schafft sie es immer wieder, sich zu motivieren und malt sich mit einer Portion Selbstüberschätzung aus, wie sie es allen zeigen kann. Und bis zur Landung des Flugzeugs hat der Leser damit zu tun, zu unterscheiden, was Wirklichkeit und was Lucys Wunschdenken ist.

Der zweite Roman von Petra Piuk hat ebenfalls eine junge Frau als Protagonistin.

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Toni und Moni – oder: Anleitung zum Heimatroman

Dass „Toni und Moni“ es ein schöner Heimatroman werden soll, steht von Anfang an für die Lektorin, die sich immer wieder in den Fußnoten des Romans meldet, fest. Nur die Autorin (oder ist es Petra Piuk?) vergreift sich ständig im Ton. Man weiss ja, was einen Heimatroman ausmacht: schöne Volkstümliche- und Schlagermusik, ehrwürdige Tradtionen und natürlich die wunderschöne Landschaft. Dazu einen Helden und ein fesches Mädel, schon ergibt sich eine schöne Liebesgeschichte. Doch die Autorin schafft es nicht, die Berge, die schon in der Coverillustration vorgegeben sind, in den Text zu bringen. Auch muss die Lektorin sie ständig daran erinnern, das die Moni zum Nachbarbuben Toni gehört. Der als Neujahrsbaby geborene Bursche weiß schon von Kindesbeinen an, dass Moni für ihn bestimmt ist. Moni sieht das anders, sie will trotz der vorgezeigten dörflichen Idyllen, den traditionellen Feiern, den Traumhochzeiten nicht recht mittun. Sie will ein freieres Leben, wie die Großcousine, die nur zu gewissen Anlassen aus der Stadt anreist. An ihr sieht sie Eleganz, dunkles Gewand, hohe Schule und einen Rollkoffer, aber auch einen Beruf und Selbstbestimmtheit. Natürlich verkrachen sich bei soviel Widerwillen die Lektorin und Petra Piuk. Eine Schriftstellerin übernimmt es, den Heimatroman zu einem Happy End für Tony zu führen, für Moni geht es, wie vorgesehen aus. Glück spielt dabei keine Rolle.

Entlarvend

„Lucy fliegt“ und „Toni udn Moni“ sind zwei entlarvende Romane. Petra Piuk nimmt ein Milieu und schaut ganz genau drauf, um es zu zeigen, um nicht zu sagen vorzuführen.

In „Lucy fliegt“ setzt sich Perta Piuk mit dem Genre Realityshow auseinander. Wir als Leser sind in der voyeuristischen Zuschauerrolle bei Lucys Angstzuständen im Flugzeug live dabei und dürfen auch etlichen Sexszenen beiwohnen. Dass mit jungen Mädchen in diesen Formaten gespielt wird, dass ihre Naivität ausgenutzt wird, kommt ganz deutlich heraus. Und so sehr man über Lucy stehen kann und sich denken mag, was ist denn das für einen dumme Frau, so sehr tut sie einem leid, weil sie nicht sieht, dass ihr vermeintlicher Ausweg eine Falle ist.

„Toni und Moni“ kann eine Antwort auf den extrem erfolgreichen modernen Heimatroman „Blasmusikpop“ von Vea Kaiser, den ich auch ein wenig kitschig gefunden habe, sein. Mit ihrer „Anleitung“ setzt sich Piuk auf die Meatebene und betrachtet von die Heimat von außen. Und von da wirken die Traditionen mit viel Alkohol angereichert ganz schön grotesk und verlogen. Auch das Genre Heimatroman bekommt sein Fett ab.

Gemeinsam haben die beiden Romane, dass junge Mädchen vom Aufstieg aus dem Geburtsmilieu träumen. Lucy will ein Star werden, um endlich geliebt, gesehen und anerkannt zu werden. Moni will raus aus dem ungesunden Dorfklima und am Beispiel der Großcousine sieht sie, dass das geht. Doch beide Mädchen haben keinen Rückhalt. Ihr Umfeld entmutigt sie und will sie dort halten wo sie sind. Lucy flüchtet in die Selbstüberschätzung, und tappt in die Falle der Ausbeutung durch die Medien. Moni wird gewaltsam zurückgehalten.

In beiden Romanen werden die Milieus satirisch überzeichnet und damit auch kritisiert. Nicht immer gelingt der Blick von außen, manchmal wirkt der Ton der Autorin ein wenig von oben herab. Manchmal ist mir die Erzählhaltung zu zynisch.

Stärken

Aber die Autorin hat drei große Stärken. Zum Einen hat sie eine große Freude am Spiel mit der an der Sprache. Sie nimmt oft Kalauer, Sprichwörter und umgangssprachliche Wendungen und legt sie den Figuren in den Mund, um genau diese als Allgemeinplätze zu entlarven. Sie hört gut zu, kann sich in die Milieus gut einleben und sie sehr genau wiedergeben. Lucy lässt sie in ihren inneren Monolog meist in Sätzen ohne Verb sprechen, was extrem realitätsnah ist, wenn ich meinen Kindern zuhöre.

Die andere Stärke ist die Dramaturgie. Piuk schafft es, die Kapitel so schlüssig und übergangslos zu verbinden, dass man die Bücher, die auch nicht sehr dick sind, gerne in einem Rutsch lesen würde. Sie arbeitet mit Cliffhängern und Vorschauen, was den Leser sehr gut bei Laune hält.

Und der dritte Punkt ist, dass Petra Piuk heikle Themen so aufgreift, dass man darüber schmunzeln kann und gleichzeitig lauft einem die Gänsehaut auf, weil man den Wahrheitsgehalt erkennt. Mangelnde Entwicklungschancen von jungen Frauen, Missbrauch durch Reality-TV und der unter dem Deckmantel der alkoholgeschwängerten Glückseligkeit ausgebreitete Dorfsumpf sind Themen, auf die sonst niemand so kritisch schaut.


Petra Piuk
„Lucy fliegt“
Hardcover mit Schutzumschlag
192 Seiten, Format 12,0 x 20,0
1 Auflage, Kremayr & Scheriau 2016
19,90€ inkl. MwSt.
ISBN: 978-3-218-01026-9
Februar 2016

Petra Piuk
„Toni und Moni oder: Anleitung zum Heimatroman“
Hardcover mit Schutzumschlag
208 Seiten, Format 12,0 x 20,0
1 Auflage, Kremayr & Scheriau 2017
19,90 € inkl. MwSt.
ISBN: 978-3-218-01079-5
August 2017