Neumodisch

Mode als psychologische Obsoleszenz

Schlägt man eine Frauenzeitschrift auf, so werden einem jede Saison andere Schnitte und Materialien vorgestellt, die als total angesagt gelten. In den Fast Fashion Geschäften finden wir bald schon jede zweite Woche eine neue Kollektion, die uns zum Kaufen verführen soll. Damit wir die Wirtschaft ankurbeln, wird mit psychologischer Obsoleszenz gearbeitet. Obwohl meine Jeans noch einwandfrei ist, stört mich plötzlich, dass sie so hautanliegend ist. Die Zeitschrift sagt mir, dass weite, knöchelfreie Jeans in Mode sind. Und nun will ich eine solche.

Warum mache ich da mit? Mode ist Kommunikation. Ich will meine Persönlichkeit zum Ausdruck bringen und zeigen wer ich bin. Wenn ich mit der aktuellen Mode mithalte, zeige ich, dass ich mich auf der Höhe der Zeit befinde, dass ich informiert bin, dass ich mir ständig die neuesten Stücke leisten kann. Ich will dafür bewundert werden und mich schön fühlen.

Doch um zu beweisen, wie informiert ich bin, sollte ich andere Wege gehen. Und auch, um mich schön zu fühlen. Und, um es mir leisten zu können. Und auch, um gesund zu sein. Und auch, um Verantwortung zu tragen.

DVD The True Cost Film

The True Cost

Als schnellen Einstig in das Thema Fast Fashion empfehle ich einen Film, (- ja, Film, kein Buch -) „The True Cost“ dessen These ist, dass die wahren Kosten der billigen Mode nicht die Konsumenten, sondern die Produzenten zahlen. Seien es die Textilarbeiterinnen, die ihre Kinder in die zum Teil baufälligen Fabriken zur Arbeit mitbringen. (Rhana Plaza). Seien es die Baumwollproduzenten, die von Monsanto jedes Jahr neues, nicht mehr keimfähiges Saatgut kaufen müssen und dann das dazu passende Spritzmittel. Wenn sie dann in Folge an Krebs erkranken, bietet dieselbe Firma ihnen Medikamente an. Das ist unglaublich pervers.

Der Film entlarvt Fast Fashion als absurdes Geschäftsmodel. Er zeigt aber auch Alternativen.

Fokussieren

Mein erste Schritt zu einer bewussten Garderobe war, eine Ausmistkur nach Marie Kondo zu machen. Jedes Teil in die Hand nehmen, an Herz drücken und fragen, ob es mich glücklich macht. Und alles was keine positiven Emotionen hervorruft, weggeben. An Schwestern, Mütter, Freunde. An die Caritas. An die Putzfetzensammlung.

Der reduzierte Kleiderkasten fühlte sich nachher wie eine Schatztruhe an, die lauter Lieblingsstücke beherbergt. Diese Reinigungsaktion sorgt bei mir für eine Sensibilisierung. Ich wusste nachher, was mir nicht so gut passte und dass ich meine Kleider beim Kauf sorgfältiger auswählen musste. Doch die Reduktion stellte mich nun vor einen neue Aufgabe. Je weniger Teile ich hatte, desto weniger passte zusammen. Daher will ich nun an der Kompatibilität der einzelnen Stücke arbeiten. Ich habe erkannt, dass ich mich im nächsten Schritt mit dem Thema Stil auseinander setzen muss. Nur, was ist denn mein Stil? Hm? Da habe ich mir natürlich ein Buch zur Hilfe geholt.

Das Kleiderschrankprojekt Anuschka Rees

Stil statt Mode

In der Bücherei griff ich zum Buch „Das Kleiderschrankprojekt“ von der in Berlin lebenden Anuschka Rees, die auch lange Zeit ein Blog betrieb. Das Buch ist eine Anleitung, um seinen eigenen Stil zu finden und richtet sich an rationale Techniker wie mich, also Menschen die beim Kochen gerne Rezepten folgen. Aber ich denke, es ist auch für Freigeister, die nach Gefühl kochen absolut brauchbar. Man kann die einzelnen Kapitel, die zwar aufeinander aufbauen, auch herausklauben und sich nehmen, was man mag. Und das Buch ist graphisch sehr ansprechend gestaltet und daher extrem schön anzusehen.

Anuschka beginnt mit einer Analyse. Zuerst führt man sich vor Auge, was man normalerweise innerhalb von 14 Tagen so trägt und dokumentiert das. Dann formuliert man Ziele. Wohin will man? Was will man mit dem Kleiderschrankprojekt erreichen? Sich in den Dresscode einer neuen Firma einzuarbeiten? Praktische Kleidung für das Herumkrabbeln mit dem Baby finden? Plötzlich erkennen, dass man kein Mädchen mehr ist, die sexy Röcke weggeben und eine neue Rocklänge finden?

Dann geht man in die Recherche, wie man sich seinen Stil vorstellen könnte. Schritt für Schritt wird es konkreter. Anuschka stellt Methoden vor, wie man sich auf gewisse Schnitte festlegt. Sie bietet einen Outfitformel (mehr darüber weiter unten), Berechnungsmethoden für Stückzahlen und eine Anleitungen für ein Farbkonzept an. Wenn man schon eine Vorstellung vom zukünftigen Stil hat, darf man durch Geschäfte stöbern und hemmungslos probieren und evaluieren. Evtl. müssen die Vorstellungen noch einmal angepasst werden. Und erst wenn ein Konzept steht, wird geschaut, was habe ich schon, was brauche ich noch. Und dann darf man sich einzelne Teile zulegen. Aber immer eines nach dem andern, um zu prüfen, ob das Konzept wirklich so funktioniert, wie man sich das ausgedacht hat.

Der Prozess erfordert etwas Zeit, die aber sicher gut investiert ist, weil man sie später bei den Shoppingstreifzügen wieder spart. Man weiß dann, dass man die ganz engen Hosen links liegen lassen kann und der gelben Teile sollte man, auch wenn sie noch so strahlen, keines Blickes würdigen. Und man kann getrost zu den U-Boot- Ausschnitten in der Farbe Blau greifen.

Ich finde das Konzept wirklich toll. Ich habe allerdings noch nicht den gesamten Prozess durchlaufen. Das Buch musste jetzt leider in die Bücherei zurück, aber wenn einem das Konzept zusagt, dann ist „Das Kleiderschrankprojekt“ einen Buchkauf wert. Ich bin an dem Punkt, an dem ich meine Stilvorstellungen in den Umkleidekabinen von Geschäften ausprobieren soll. Nur das liegt mir gerade gar nicht, weil ich gar keine Zeit in Geschäften verbringen will. Ich versuche nun meine Outfitformel erstmal mit den Dingen umzusetzen, die ich bereits besitze. Und ich habe lange Zeit zum Experimentieren. Das erste neue Stück wird nicht vor 2. Jänner gekauft.

Jahr der Fülle

Ich begehe heuer mein Jahr der Fülle. Ich kaufe nichts Neues. Ich ersetze nur Vorhandenes und das nicht mit neunen Stücken, sondern mit gebrauchten. Mein Vorbild ist hier Nunu Kaller, die ihr Jahr des Kleiderkonsumverzichts im Buch „Ich kauf nix“ dokumentiert hat. (Der Unterschied ist, dass ich nicht nur keine Kleidung neu kaufe, sondern nichts Neues über einem Wert von 25€)

Capsule Wardrobe

Anuschka Rees widmet ein Kapitel dem Erstellen einer Capsule Wardrobe. Der Begriff meint eine Garderobe, in der jedes Kleidungsstück zu allen anderen passt. Manchmal werden diese Konzepte auf einen Stückzahl reduziert: zum Beispiel wie bei der bekannten Bloggerin Courtney Carver im Project 333, wo man mit 33 Kleidungsstücken 3 Monate lange auskommen soll. Mit Anuschkas Analyse- und Erarbeitungsmethode kann ebenfalls problemlos man ebenfalls eine Capsule Wardrobe entwickeln, was auch mein Ziel ist. Denn derzeit habe ich in meinem Kasten zwei Farbschienen, die eine ist das Architektenschwarz, die andere ein Matrosenblau. Und beide Schienen lassen sich nicht gut kombinieren. Wenn ich beide erhalten will, muss ich einfach die zwei Hauptfarben in mein Farbkonzept bringen und die anderen drei Farben passend zu beiden wählen.

Uniform

Eine Extremform der Outfitformel ist, eine die eigene Uniform. Eine Oufitformel nach Anuschka Rees besagt, dass man immer gleichartige Schnitte miteinander kombiniert und sie zu seiner Trademark macht. Zum Beispiel: Enge Hose+Tunika+Ballerinas. Und dafür legt man sich zum Beispiel drei enge Hosen zu, vier Tuniken und zwei Ballerinas. Und alle diese Kleidungsstücke sollte man farblich miteinander kombinieren können.

Will man nun eine Uniform schaffen, dann legt man sich nun drei schwarze Hosen zu und fünf weiße Tunikahemden und zwei Paar schwarze Ballerinas und das trägt man täglich. Oder man legt sich auf graue T-Shirts und Jeans (Mark Zuckerberg) oder schwarze Rollkragenpullover (Steve Jobs) fest. So spart man sich das täglich Nachdenken darüber, was man heute wieder anziehen soll. Na gut, manchmal verlangt das Wetter auch noch einen Kaputzensweater, der über das graue Shirt gezogen werden muss.

Bewusst kaufen

Wenn man so viel Zeit damit verbracht hat, sich über Kleidung Gedanken zu machen, sollte es leicht sein, neue Kleider zu kaufen. Ich kaufe heuer nur Secondhandware. Die bekomme ich entweder am Kirchenflohmarkt, in der Carla (dem Verkaufslager der Caritas) oder über Willhaben. Ab nächstem Jahr darf ich wieder neue Kleidung kaufen und werde nur mehr Mode von nachhaltig agierenden Unternehmen erstehen. Ich mag Grüne Erde, ich mag Hessnatur, ich mag PeopleTree, ich mag Armed Angels. (Für diese Erwähnungen bekomme ich kein Geld) Eine tolle Liste an nachhaltigen Produzenten und Shops von Fair Fashion hat die Podcasterin DariaDaria zusammengestellt.

Wie hältst Du es mit der Mode?


Anuschka Rees
Das Kleiderschrank-Projekt
Systematisch zum eigenen Stil und zu bewusstem Modekonsum
272 Seiten, 96 farbige Abbildungen, Originalverlag: Ten Speed Press, Berkeley 2016, Originaltitel: ›The Curated Closet. A Simple System for Discovering Your Personal Style and Building Your Dream Wardrobe‹
Dumont Verlag
Erscheinungstag: 16.02.2017
ISBN 978-3-8321-9926-5
28€ (D)