Baum fällt!

Die preisgekrönte Amerikanische Autorin Annie Proulx kann mehr, als nur Kurzgeschichten über schwule Cowboys (Brokeback Mountain) schreiben.
Annie Proulx "Aus hartem Holz", Roman Wald, Wälzer

Aus hartem Holz

Die über 80jährige Autorin beherrscht auch die große Form des monumentalen Romans. „Aus hartem Holz“ heißt ihr letzter Wälzer, dessen Geschichte die studierte Historikerin Proulx 1693 beginnen lässt. Die zwei junge, arme Franzosen René Sel und Charles Duquet steigen aus dem Schiff, um in Amerika ihr Glück zu machen. In Nouvelle France arbeiten sie zuerst einmal als Engagés für den Siedler Monsieur Trépagny. Vereinbart ist, dass sie nach drei Jahren Arbeit für Trépagny ihr eigenes Land bekommen sollten. Charles Duquet kann der Einsamkeit und der harten Arbeit gar nichts abgewinnen, er will reich werden und zudem quält ihn eine heftige Zahnentzündung. Als Monsieur Trépagny droht, ihm alle Zähne zu reißen, nimmt er Reißaus und verschwindet im unendlichen Wald. René Sel hingengen findet Gefallen am Holzfällen, ihm gefällt das Leben im Wald. Ab den Zeitpunkt von Charles Verschwinden wird die Geschichte gespalten. Als Leser folgen wir nun zwei Erzählsträngen, dem von René und dem von Charles. Die beiden Männer haben auch zahlreiche Nachkommen und so wird die Geschichte auch nach ihrem Ableben in zwei Handlungsebenen über die Generationen hinweg erzählt. Die Leben beider Familien bleiben mit dem Wald verbunden. Der geschäftstüchtige Charles bringt es zum Kaufmann und Besitzer eines Holzunternehmens. Seine Firma gründet er im heutigen Kanada, verlegt sie aber dann in die USA und nennt sich dort Duke und das Unternehmen Duke und Söhne. René heiratet, eigentlich nur um Monsieur Trépagnie aus einer Zwangslage zu helfen, die wesentlich ältere indianische Ureinwohnerin Marie, die dem Stamm der Mi’maq angehört. Beide sind sehr glücklich miteinander und der Beziehung entspringen indianische Mischlingskinder, deren Leben auch immer mit dem Holzfällen verbunden bleibt. Jede Generationen hat ihre Herausforderungen und ihre ganz liebevoll gezeichneten Figuren. Dabei wird die Geschichte Nordamerikas gestreift und die schier unendlich scheinenden Wälder dezimiert, bis kaum mehr Urwälder vorhanden sind. Auch nach Europa und Neuseeland wachsen einzelne Handlungsstränge über. Immer geht es ums Holzfällen erst am Schluss, in der Gegenwart, entwickelt sich so etwas wie ein Umweltschutzgedanke. Die Nachkommen von heute versuchen die Wälder, die ihre Vorfahren vernichtet haben, wieder aufzuforsten.

Die Figuren

Eine große Geschichte, ein wunderschönes Buch! Die Stärke des Wälzers, für dessen fast 900 Seiten auch etliche Bäume gefällt werden mussten, sind die Figuren, von denen mir einige sehr ans Herz gewachsen sind. Die sympathischen Männer der Sel-Seite, die Ureinwohner, verlieren ihre offene, vertraute Welt und brauchen Zeit, um sich an einen eingegrenzten Lebensraum zu gewöhnen. Die Autorin beschreibt die schrittweise Entfremdung von der Natur. Hat Marie noch umfassende Kenntnisse von Heilkräutern, wird es zwei Generationen später schon schwierig Elche aufzutreiben, die für die Initiationsjagd der junge Männer gebraucht werden. Das Geldmachen der Duquets funktioniert nicht auch immer reibungslos. Die Nachkommen müssen immer neue Wälder zum Abholzen finden und tief ins Land vordringen. Die männliche Linie stirbt aus, sodass Anfang des 19. Jahrhunderts endlich eine Frau, die toughe Lavinia, die Firma „Duke und Söhne“ übernimmt und damit auch umbenennen muss.

Die Gier

Es ist kein Buch mit erhobenen Zeigefinger, obwohl einem beim Lesen der Ressourcenverschwendung in der historischen Holzwirtschaft schon etwas mulmig wird. Wie konnte es dazu kommen, dass die unendlichen Wälder Nordamerikas verschwanden, war sicher die Ausgangsfrage des Romans. Und die eine Antwort wird mit der Geschichte von Charles gegeben: die treibende Kraft ist die Gier. Doch auch die Nachkommen von René sind nicht unschuldig, waren es doch sie, die die meisten Bäume gefällt haben, um ihr kurzfristiges Überleben zu sichern. Aber auf der anderen Seite haben sie zugleich ihre langfristige Lebensgrundlage komplett zerstört.

Viele schöne Lesestunden

Der Wälzer machte mir sehr viel Freude beim Lesen. Die Übersetzung holpert manchmal, das Lektorat hat einige Tippfehler übersehen. Aber gut, das kann ich verzeihen, angesichts der großartigen Gesamterzählung, die sicher viel Recherchearbeit erfordert hat und angesichts der lebendigen Figuren. Ein Stammbaum wäre recht hilfreich, wenn auch nicht unbedingt erforderlich gewesen. Denn als Leser beginnt man der Autorin zu vertrauen und sich durch den Roman führen zu lassen, wie durch einen satten, duftenden Wald.


Annie Proulx
„Aus hartem Holz“
Roman
Taschenbuch
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Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, Andrea Stumpf
Originaltitel: Bark-Skins
Originalverlag: Luchterhand HC
Taschenbuch, Broschur, 896 Seiten, 11,8 x 18,7 cm, 3 s/w Abbildungen
ISBN: 978-3-442-71751-4
Erschienen am 10. Dezember 2018