Ich setze mich täglich auf einen niedrigen Hocker und zünde eine Kerze an. Bevor ich zu meditieren beginne, stelle ich mir einige Fragen. Die erste Frage ist, was soll das Ziel meiner Meditation sein. Ich beantworte sie mit „Klarheit“. Ich will die Dinge sehen, wie sie sind, mich nicht in Emotionen verwickeln lassen, meine Wahrnehmung schärfen und die Welt erkennen. Und dabei denke ich täglich an Yuval Noah Harari. Er ist mein persönliches Meditations-Rolemodel. Wer ist dieser Yuval? Muss mein Ehemann eifersüchtig sein?
21 Lektionen für das 21. Jahrhundert
Der israelitischen Geschichtsprofessor Yuval Noah Harari sollte in meiner geneigten Blogleserin etwas zu klingen bringen. Schon vor einigen Monaten habe ich mit Begeisterung auf sein erstes Buch „Die kurze Geschichte der Menschheit“ hingewiesen.
Nun hat der kluge Mann ein neues Buch geschrieben: „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“, sein drittes Buch. Es behandelt nicht weniger, als die aktuell drängendsten Fragen der Menschheit. Warum ist die liberale Demokratie in der Krise? Ist Gott zurück? Steht ein neuer Weltkrieg bevor? Was bedeutet der Aufstieg von Donald Trump? Was können wir tun gegen fake news tun? Welche Zivilisation beherrscht die Welt? Sollte Europa seine Türen offenhalten für Immigranten? Kann der Nationalismus Antworten geben auf die Ungleichheit und den Klimawandel? Wie sollen wir auf den Terrorismus reagieren? Was sollen wir unseren Kindern beibringen? So viele Fragen.
Harari analysiert zuerst die Fragestellungen und Fakten, dann folgen wahrscheinliche Entwicklungen, die draus hervorgehen könnten und dann Möglichkeiten damit umzugehen. Das hört sich nach einem trockenen, deprimierenden Lesestoff an, oder?
Aber das ist es überhaupt nicht. Jeder Gedanke ist fein und nachvollziehbar ausformuliert, jeder Satz zum Nachdenken, seiner Ideen so frisch und klar wie sie noch keiner präsentiert hat. Ich schmelze beim Lesen hinweg. Ich muss oft das das Buch zur Seite legen, nachdenken, begreifen und versuchen in mein Leben zu integrieren. Eine bestechende Prämisse von Harari ist, wie schon im Buch „Die kurze Geschichte der Menschheit“ ausgeführt, dass wir uns Geschichten erzählen und nach unserem Glauben, nach unseren Mythen, nicht nach Tatsachen handeln. Er hat einen Blick auf Dinge von weit weg, sehr abstrahiert, aber kann diese Anschauung greifbar machen mit Beispielen aus dem Leben.
Yuval Noah Harari
Im letzten Kapitel gibt Yuval ein wenig über sich selbst preis. Das tut er nicht aus Eitelkeit, sondern, damit der Leser seine Ideen einordnen kann. Er tendiert zum Buddhismus und meditiert täglich. Und das schon mehrere Jahre lang. Ah! Meditation, daher kommt diese Klarheit!, dachte ich. Seither ist er für mich eine Person, der ich gerne nacheifern will. Ein Vorbild. Ich will solche Klarheit im Leben habe. Und ich bewundere Harari für seine Geistesschärfe. Er wirkt asketisch, schmal, trägt eine Brille und hat einen süßen Akzent, wenn er englisch spricht. Er tritt bestimmt auf und wirkt sehr mutig. Und nachdem mich spirituelle und geistige Gelüste zu ihm zuführen, ist es meinem Fleisch auch egal, dass er homosexuell und mit einem Mann verheiratet ist. Das tut nichts zu Sache, denn ich bin es ja auch.
Homo Deus
Im Moment lese ich sein zweites Buch „Homo Deus – Eine Geschichte von morgen“ wo Yuval Noah Harari sich an Prognosen über die Zukunft der Menschheit versucht. Harari argumentiert, dass wir Menschen Hunger, Krankheit und Krieg schon besiegt haben und uns für die Zukunft vornehmen, Unsterblichkeit, Glück und Göttlichkeit zu erlangen. Nicht weniger. Es hört sich unglaublich an, aber ich folge wieder ganz fasziniert seiner Argumentationskette, wälze die Gedanken in meinem Kopf und kann nur hin und wieder nicken. Große Empfehlung!
Klarheit und Kraft
Wenn ich mir die Frage nach der Motivation beim Meditieren stelle und dann Yuval in meinem Kopf auftaucht, dann stelle ich mir diese Frage, weil mich ein anderer Mann dazu angeleitet hat. Vor einigen Monaten stöberte ich durch die kleine Büchereifiliale und da war ein Buch ausgestellt, dass mich sofort anzog. Ein einfaches Cover und ein einfacher Titel: Handbuch Meditation“. Sofort kam es auf meinem Ausleihstapel. Der Bibliothekar freute sich, weil ich sein Ausstellungsstück gewählt hatte und ich freute mich zuhause, weil ich etwas gefunden hatte, von dem ich noch gar nicht gewusst hatte, wie notwendig ich es brauche.
Ich habe vor ca. 6 Jahren mit dem Meditieren begonnen. Ich war neugierig. Ich besuchte ein Zen-Meditationswochenende bei Fleur Wöss im wunderschönen Blumau und kann jetzt im Nachhinein sagen, das Wochenende hat mein Leben verändert. Und so meditierte ich seit Jahren dahin. Aber ich hatte schon seit Monaten das Gefühl, ich komme nicht weiter. Zu einem Retreat oder einem regelmäßigen gemeinsamen Meditation mit anderen konnte ich mich aus Zeitgründen nie aufraffen. So stagnierte ich. Bis der Bibliothekar mir das Buch hinstellte.
Handbuch Meditation
Das ziemlich dicke „Handbuch Meditation“ wurde verfasst vom amerikanischen Neurowissenschaftler und Mediationstrainer Culadasa John Yates. Schon in der Bücherei betrachtete ich sein Autorenfoto. Ich musste schmunzeln. Denn da schaut mir ein älterer Mann entgegen, tiefe Falten auf der Stirn, kaum Haar und große Ohren, das Gesicht rund und eher querformatig. Es er neigt sich seitlich zum Betrachter und lacht verschmitzt und ich kann mir nicht helfen, irgendwie hat Culadasa eine Ähnlichkeit mit Meister Yoda. Und ich habe gleich das Gefühl, der Mann weiß wovon er spricht.
Es ist das Mediationsbuch, das ich, die gerne aus Büchern lernt, die gerne konkrete Anweisungen befolgt, gebraucht habe: eine sehr detaillierte Handlungsanweisung. eine Gebrauchsanleitung für Techniker, könnte man sagen. Gekrönt wird es von der Ermutigung, dass Erleuchtung bei braver, kontinuierlicher Praxis und Einhaltung des Programms möglich ist, und das in nur 7 Jahren.
Der Weg dorthin ist in 12 Stufen eingeteilt. Die 12 Stufen sind nicht nur ausführlich beschrieben, sondern auch auf einer Illustration festgehalten. Jede Stufe zeigt einen Mönch mit einigen Tieren, der Elefant steht für den Geist, der Affe für das Abschweifen, der Hase für die Dumpfheit und die Flammen daneben zeigen die Anstrengungen, die notwendig sind. In der ersten Stufe rennt der Affe mit dem schwarzen Elefant an der Leine davon, der Mensch versucht unter massiver Anstrengung hinterherzukommen. Am Schluss sitzt der Mensch siegreich auf dem weißen Elefanten. Dazwischen liegen Jahre und der Mensch muss einige Mühen auf sich nehmen, um die Tiere zu bändigen.
Das Buch beschäftigt sich ausführlich mit ganz einfachen Fragen nach der Motivation, nach der Intention und erklärt wie man am besten in 4 Schritten in die Meditation einsteigt, den Körper beruhigt, den Atem findet. Der unruhige Affengeist muss positiv trainiert werden. Mit welchen Schwierigkeiten und Hindernissen dabei zu rechnen sind und wie man am besten damit umgeht, das erklärt Culadasa Stufe für Stufe. Gehmediation und auch die Mediation der Liebenden Güte werden ebenfalls detailliert beschrieben.
Inzwischen habe ich das Buch zur Bücherei zurück gebracht und mir meine eigenen Exemplare besorgt (eines in Papierform und eines als E-Book). Derzeit befinde ich mich auf Stufe 2. Die Stufe 1 eine regelmäßige Praxis zu etablieren habe ich in den letzten 6 Jahren bewältigt. Die Stufe 2 verlangt nun länger auf dem Fokuspunkt zu bleiben, als abzuschweifen. Meine Aufgabe ist es, das Abschweifen des Geistes zu erkennen, aufzuwachen und meine Aufmerksamkeit wieder auf die Nasenspitze, auf meinem Meditationsfokus zu legen. Das gelingt noch nicht wirklich, obwohl ich Fortschritte bemerke, und eine wohlige Ruhe kommt, wenn ich mir erlaube, nichts zu denken, nur zu beobachten. Die Erleuchtung wird also noch ein Weilchen auf sich warten lassen. 😉
Das Buch ist derzeit das Wichtigste in meinem Besitz. Denn ich werde es regelmäßig aus dem Regale holen, das Antlitz meines Meister Yodas betrachten und mich dann wieder auf dem Weg zur Erleuchtung einzuordnen, festzustellen wo ich gerade stehe und wo ich hinkommen sollte. Stufe für Stufe.
Ausprobieren!
Falls Du noch nie probiert hast zu meditieren, nimm Dir einmal Zeit dafür! Versuche es mit einer geführten Meditation (Youtube Videos, Apps, Yogastunde, Meditationsstunde,…). Nimm dir ein paar Minuten, um Dich von innen zu beobachten. Einen Versuch ist es Wert. Denn Mediation ist einfach, Du brauchst keine Hilfsmittel und kannst sie überall ausführen und zugleich ist Mediation schwer, weil Du daran aktiv arbeiten musst, es ist ein hartes Training. Doch die Zeit ist gut investiert. Die Meditation lässt Dich reifen, und ermöglicht Dir Zutritt in eine faszinierende Innenwelt und eine neue Form der Kontrolle.
Und wenn wir alle meditieren, wer weiß wohin sich dann unsere Welt entwickelt, wenn wir alle so klar sehen, wie Yuval Noah Harari und so verschmitzt lächeln wie Culadasa. Dann könnten wir tatsächlich glücklich sein und in Frieden leben.
Harari, Yuval Noah
21 Lektionen für das 21. Jahrhundert
C.H. Beck
978-3-406-72778-8
Erschienen am 18. September 2018
8. Auflage, 2019
459 S., mit 1 Abbildung
Hardcover 24,95 € (D
https://www.ynharari.com/
Culadasa John Yates
Handbuch Meditation
Arkana Verlag
Aus dem Amerikanischen von Susanne-Kahn-Ackermann
Originaltitel: The Mind Illuminated
Originalverlag: Dharma Treasure Press
Hardcover mit Schutzumschlag, 560 Seiten, 15,0 x 22,7 cm
ISBN: 978-3-442-34215-0
Erschienen am 27. März 2017
€ 30,00 [D] inkl. MwSt.
€ 30,90 [A] | CHF 41,50 * (* empf. VK-Preis)
http://culadasa.com/