Heute stelle ich den wunderbaren Jungenderinnerungsroman „Bevor die Welt unterging“ von Kirstin Breitenfellner vor, den ich auch noch meinen Umweltschutzschwerpunkt zuordnen kann.
Jugend in den Achtzigern
Der Roman beginnt 1979. Judith lebt in einer deutschen Kleinstadt. Sie ist ein sehr waches, ernsthaftes Mädchen. Sie will Vieles über die Welt wissen. Sie scheut sich nicht, Dokumentationen über KZ-Befreiungen anzusehen, sich mit dem Waldsterben und der Politik zu befassen. Sie besucht Demos, wenn ihr etwas nicht passt. Zu Beginn der Erzählung ist Judith sehr eng mit Birte befreundet, neben der sie auch im Gymnasium sitzt. Doch eines Tages beschließt Birte sich einen Sitzplatz neben einem Buben zu suchen und schließt sich einer Popper-Clique an. Judith leidet an der abrupten Trennung noch jahrelang, findet aber ihrerseits einen gleichgesinnten Freundeskreis. Hier kann sie auch die aktuellen Themen diskutieren, die sie beschäftigen. Judith kann allerdings wütend werden, wenn in dem Freundeskreis zu viel geredet und zu wenig getan wird. Sie scheint hier die aktivste zu sein. Ein Besuch in Ostberlin, ein Vortrag eines klimakritischen Wissenschaftlers, eine Anti Kohl-Demo prägen ihre Einstellungen. Immer im zeitgeschichtlichen Kontakt eingebettet macht Judith die ersten Beziehungserfahrungen und übt die Loslösung vom Elternhaus. Nach dem Abitur geht es auf eine Interrailreise und dann zum Studieren zuerst nach Berlin, später dann nach Heidelberg. Den Fall der Mauer erlebt Judith ganz nebenbei in ihren persönlichen Geschichten verwickelt. Das Ende des Kalten Krieges markiert auch das Ende von Judith Jugendzeit und das Ende des Romans.
Trotz der ernsten Themen ist „Bevor die Welt unterging“ ein Roman zum Schmunzeln und zum Erinnern. Er lässt sich sehr angenehm lesen, die Sprache und die Erzählweise sitzen tadellos. Man spürt das versierte Schreiben. Einerseits gibt es einen zurückblickenden Erzähler, der zwischendurch auch ein wenig resümiert, eingestreut finden sich aber auch noch sehr witzige Tagebucheinträge. Als jahrzehntelange Falter – Abonnentin verfolge ich Kirstin Breitenfellners Arbeit schon lange. Sie schreibt in der Wochenzeitung Rezensionen und ist verantwortlich für den Sachbuchteil der Buchbeilagen, den ich sehr schätze. Interessant sind auch die anderen Tätigkeiten, die das Klappentext über sie weiß: Kinderbuchautorin, Übersetzerin und Yogalehrerin.
Den Weltuntergang sehen
Zuerst dachte ich, dass der Titel des Romans mit „Bevor die Welt unterging“ etwas drastisch für ein Jugenderinnerungsbuch gewählt ist, doch die sehr ernsthafte Judith hat während ihrer Jugendjahre mit einem Weltuntergang gerechnet. Der Kalte Krieg, das Ozonloch, das Waldsterben, AIDS es gab viele Dinge, die uns damals nahelegten, dass es bald zu Ende sein könnte. Auch ich, die ich doch zehn Jahre jünger bin, hatte damals das Gefühl. Ich verurteilte die gierigen und verantwortungslosen Erwachsenen, die mir keine ordentlich Zukunft ermöglichen würden. Wir Jungen konnten nichts dafür, für uns würde aber nichts übrig bleiben. Und falls doch, war es undenkbar eigenen Kinder in solch eine Welt zu setzen.
Die große Frage, die ich mir bei diesem Roman stelle ist, wie konnten wir eigentlich den drohenden Weltuntergang aus den Augen verlieren? Warum fühlten wir uns plötzlich wieder sicher? Ja, der Kalte Krieg ging zu Ende, das Ozonloch durfte sich durch ein weltweites FCKW-Verbot wieder erholen, den Schwefel, der dem Wald zu schaffen machte, bekam man auch in den Griff. Doch das Waldsterben geht ja noch weiter. Neben den Abholzungen, die erfolgen, um unsere Konsumgier zu befriedigen, geben Trockenheit und Monokulturen dem Borkenkäfer freie Bahn die heimischen Wälder zu vernichten. Plastik überschwemmt uns. Erderwärmung, CO2-Belastung, Elektroschrott, Pestizide; diese Schlagwörter bezeichnen nur einen Auszug der Bedrohungen unseres Lebensumfelds.
Judith war schon während ihres Studiums so mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, dass sie den Mauerfall nur aus dem Augenwinkeln mitbekommen hat und nicht mehr so wach war, wie die Jahre zuvor. Auch ich hatte mit dem Erwachsenwerden zu tun, mit der Ausbildung, mit der Jobsuche, mit dem Bestehen im Job, quasi mit meiner Eingliederung in das System. Und hier bin ich nun.
Den Weltuntergang kann ich erst seit ein paar Jahren wieder sehen. Es mag sein, dass das mit dem Zeitpunkt zusammenfällt, an dem ich Mutter wurde, oder auch mit dem, an dem ich zu meditieren begonnen habe. Jetzt sehe ich ihn und jetzt bin ich die Erwachsene im System.
Was tue ich, damit mir meine Kinder nicht vorwerfen, ich mache mit meiner Bequemlichkeit ihre Zukunft kaputt? Eine gute und wichtige Frage, die mir das Buch ganz indirekt stellt.
Kirstin Breitenfellner
„Bevor die Welt unterging“
Roman
Picus Verlag
ISBN: 978-3-7117-2053-5
240 Seiten
auch als E-Book erhältlich
22,00 inkl. MwSt. (A)