Die Journalistin Antonia Baum reflektiert in „Stillleben“ ihre persönliche Veränderungen als Mutter und auch was Mutterschaft in unserer Gesellschaft bedeutet.
„Stillleben“
Als Journalistin führt Antonia Baum ein nettes Leben, hat eine feste Partnerschaft, einen fordernden Beruf und wohnt in einer interessanten Gegend, wo sie unterschiedliche Soziothope beobachten kann. Dann wird sie schwanger. Und die Wohnumgebung, die vorher spannend war, wird mit einem Baby zum Problem. Die Angst vor dem unberechenbaren, psychisch gestörten Nachbarn geht so weit, dass sich Antonia Baum kaum alleine außer Haus traut.
Dieser Aspekt der Geschichte beschreibt gut, was passiert, wenn man Mutter wird. Antonia Baum reflektiert sehr gekonnt, die Anforderungen, die an eine Mutter gestellt werden und die Anforderungen, die man an sich selbst als Mutter hat. Sie versucht möglichst ihr gewohntes Leben fortzusetzen, scheitert aber damit. „Das Problem war, dass ich nicht gewohnt war, von mir und dem, was ich wollte abzusehen.“
Als Vollblutjournalisten bringt sie ihre eigenen Erfahrungen, wie zum Beispiel die Arbeitsteilung im Haushalt in einen gesellschaftlichen Kontext und auch in den feministischen Diskurs. Für mich besonders interessant, ist der Begriff der „Mental Load“.
„Mental Load“
Mental Load ist jene unsichtbare Arbeit der Planung, die in jeder Familie anfällt: Impftermine im Kopf behalten, beim Jahreszeitenwechseln an neue Kleidung oder Schuhe für die Kinder denken, den Kindergartenausflug bezahlen, ein Geschenk für die Urstrumpftante besorgen, usw..
Diese Arbeit wird zumeist von den Frauen in der Familie erledigt. Und auch wenn die reale Arbeit 50/50 zwischen Mann und Frau geteilt wird, ist die wirkliche Belastung bei Frauen höher, weil sie noch diese unsichtbare Planungsleistung übernehmen. Sie sind für alles zuständig. (Nicht alles, sagt mein Mann: um das Auto kümmere ich mich. Ja, das muss ich zugeben.)
Dieser geniale Comic erklärt „Mental Load“ perfekt:
https://english.emmaclit.com/2017/05/20/you-shouldve-asked/
Doch zurück zu „Stillleben“. Die Sprache des Buches hat mich manchmal irritiert, weil Antonia Baum öfter mal anstatt von Leben von „Life“ spricht. Oder auch andere saloppe Begriffe der Social Media Sprache verwendet. Mir ist nicht klar, ob sie damit versucht jüngeres Publikum anzusprechen, oder ob sie beweisen will, dass sie als seriöse Journalistin (unter anderem für „Die Zeit“) so locker ist, auch diese Sprache verwenden zu können. Bei mir hatte es den Effekt, dass ich mich alt gefühlt habe und sie sich selbst etwas von ihrem Expertenstatus genommen hat.
Mit oder ohne Kinder
Interessant ist noch, dass mir das Buch von einer Freundin geborgt wurde, die keine Kinder hat (Danke!). Sie hat gemeint, sie habe es trotzdem super gefunden und sich angesprochen gefühlt. Denn es geht auch um die Kluft, die sich auftut zwischen Menschen mit Kindern und Menschen ohne Kindern und wie sich beide Parteien das Leben schwer machen und denken, dass die anderen per se ja glücklich (oder je nach Einstellung: unglücklich) sein müssten. Das Buch ist auf jeden Fall eine sehr lohnende Lektüre, wenn man über sein Leben als Elternteil oder auch sein kinderloses Leben nachdenken will.
Antonia Baum
„Stillleben“
Piper Verlag
€ 20,00 [D], € 20,60 [A]
Erschienen am 19.03.2018
224 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-492-05820-9
Was ist eine Urstrumpftante?
Die Tante, von der du nicht mehr weißt, wie sie eigentlich mit dir verwandt ist. Woher das Wort kommt, weiß ich selber nicht, wäre aber auch interessant herauszufinden.