Pflücke einen Grashalm, beobachte eine Paradeiser beim Rotwerden, atme die Waldluft nach einem Regen. Man muss sie nicht essen oder sie sich auf die Haut schmieren, alleine durch Nähe haben Pflanzen eine Wirkung auf Menschen. Heute haben ich zwei Buchempfehlungen, die zeigen, wie Pflanzen unser Wohlbefinden positiv beeinflussen können. Allan Jenkins erzählt uns in „Wurzeln schlagen“ seine beklemmende Geschichte als Pflegekind, über die ihm das Gärtnern hinweghilft und Clemens G. Arvay erklärt uns den Biophilia-Effekt.
Allan Jenkins „Wurzeln schlagen“
Allan Jenkins ist der britische Herausgeber des Magazins „Observer Food monthly“. Das hört sich nach einem erfolgreichen Leben an, aber er hatte einen schweren Start. Er wurde nur wenige Monate alt in ein Waisenhaus gegeben, kam dann wieder zu seiner Mutter, wurde vom neuen Mann der Mutter aufgenommen, der sich auch um seinen Bruder Christopher kümmerte. Später wurden beide Buben vom Ehepaar Jenkins in Pflege genommen. Dort bekamen die Buben das erste Mal ein Gefühl von Familie. Doch als die Pubertät losging, wurden sie auch von dort verstoßen. Allan fand über sein Hippy-Dasein und gute schulische Leistungen einen Weg. Christopher tat sich schwerer.
Anfangs will Allan nur ein Buch über seinen Pflegevater schreiben und die Liebe zum Gärtnern, die er ihm mitgegeben hat. Doch im Laufe des Schreibens beginnt er in seine Vergangenheit zu recherchieren. Er findet weitere Kinder seiner Mutter, entdeckt, wer sein leiblicher Vater ist, aber scheitert immer wieder daran alle Details und Gründe seiner Vernachlässigung herauszubekommen. Auch die Geschichte seines geliebten Bruders versucht er zu erforschen, denn zeitweise wuchsen die Kinder getrennt auf. Ab der Pubertät driftet die Beziehung der Brüder auseinander, wofür sich Allan noch immer Vorwürfe macht.
Was Allan bei diesen schmerzhaften emotionalen Schürfarbeiten unterstützt, ist sein Garten in einer Londoner Gemeinschaftsparzelle, den er gemeinsam mit guten Freunden betreibt. Die Gartentagebuchseiten sind zwischen die Recherchekapitel geschoben. Es zeigt, wie wichtig und heilsam das Gärtner für Allan ist. Hier kann er seine Gedanken ordnen, seine belastende Vergangenheit vergessen und sich um die kleinen Pflänzchen kümmern. Das Großziehen der Pflanzen ist das wichtigste für ihn, das Kümmern , das Sprechen, das Glauben an eine Zukunft der Pflanze, alles, was er als Kind vermisst hat.
Es ist ein trauriges Buch, aber auch ein schönes. Die schmerzlichen Recherchearbeiten bauen eine Spannung auf, die dann den Gegenpol in den auch beim Lesen entspannenden Gartenseiten haben. Bei den Gartenberichten motiviert mich, dass auch ihm, einen erfahrenen Gärtner, nicht alles gelingt, er sich aber unermüdlich und immer voller Hoffnung daran macht, nicht nur das Beste aus seinem Garten zu machen.
Clemens G. Arvay: „Der Biophilia-Effekt“
Cemens G. Arvay ist ein österreichischer Biologe, dessen Mission es ist, die heilsame Kraft der Bäume und Pflanzen den Menschen näher zu bringen. Sein Markenzeichen ist der Biophilia- Effekt. Zu diesem Thema hat er schon einige Bestseller geschrieben. Den Begriff hat er nicht erfunden, vermarktet ihn aber geschickt. Es geht dabei um die Sehnsucht sich mit der Natur zu verbinden. Konkret stärkt ein längerer Aufenthalt im Wald unser Immunsystem und senkt unser Stresslevel. Arvay hinterlegt diese Wirkung noch mit Studien und erklärt sie genauer. Der Autor wirkt dabei sehr sympathisch und nahbar, und seine Texte sind motivierend und gut zu lesen.
Trotzdem sind die vielen Erkenntnisse, warum ein Waldspaziergang gesund ist, zwar gut zu wissen, aber gar nicht notwendig, man spürt es ja ohnehin. Ich hatte beim Lesen immer das Gefühl, ich sollte das Buch weglegen und nach draußen gehen. Darauf macht es nämlich richtig Lust.
Ich habe später noch sein Buch“ Biophilia in der Stadt – Wie wir die Heilkraft der Natur in unsere Städte bringen“ gelesen. Arvay wiederholt hier mehrere Passagen aus dem Biophilia-Effekt und entwirft schöne Wunschvorstellungen, wie ein grüne Stadt der Zukunft aussehen könnte. Dabei wirkt es ein wenig naiv, weil er die politischen Rahmenbedingung komplett außer Acht lässt und eher im Reich der Träume bleibt.
Es sind ganz schöne, positive Bücher, aber besser wäre es, die Zeit, die man für das Lesen verwenden würde, im Wald zu verbringen. Oder die Bücher im Wald zu lesen.
Also, ab ins Grüne!
Mit oder ohne Bücher!
Allan Jenkins
„Wurzeln schlagen“
Verlag: Rowohlt
Erscheinungstermin: 27.03.2018
304 Seiten
ISBN: 978-3-498-03226-5
übersetzt von: Christel Dormagen
Deutsche Erstausgabe
20€ (D)
Clemens G. Arvay
„Der Biophilia Effekt – Heilung aus dem Wald“
Ullstein Verlag
Taschenbuch
256 Seiten
ISBN-13 9783548376592
Erschienen: 14.10.2016
11,30€ (A)
Clemens G. Arvay
„Biophilia in der Stadt – Wie wir die Heilkräfte der Natur in unsere Städte bringen“
ORIGINALAUSGABE
Mit Vorwort von Gerald Hüther
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 352 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, 1 s/w Abbildung
ISBN: 978-3-442-31482-9
€ 22,00 [D] | € 22,70 [A] | CHF 30,90* (* empfohlener Verkaufspreis)
Verlag: Goldmann
Erschienen: 14.05.2018