Bezaubernde Sommer

Zsusa Bánk: Die hellen Tage, Buch

Kindheit

Auf die eigenen Kindheit kann man nicht objektiv zurückblicken. Das sehe ich an meinen Erinnerungen. In einer meiner Erinnerung bin ich den ganzen Tag mit einer Horde Kindern auf Fahrrädern durch das Dorf gezogen. In meiner anderen Erinnerung verzog ich mich ständig in stille Winkel und war praktisch jede freie Minute in Bücher vertieft. Beides gleichzeitig kann nicht wahr gewesen sein. Vielleicht waren es Phasen, die aufeinander folgen?

Zsuzsa Bánk: Die hellen Tage

Die deutsche Autorin Zsuzsa Bank hat versucht diese „immer“-Erinnerung in einem Buch einzufangen. Im Roman „Die hellen Tage“ geht es um eine Kinderfreundschaft. Seri freundet sich mit Aja, dem ungewöhnlichsten Mädchen im kleinen Ort Kirschblüt an. Aja lebt lebt mit ihrer Mutter Évi in einem windschiefen Häuschen mit einem Garten, dessen Tor schief hängt und beim Öffnen Steinchen mitzieht. Es liegt ein wenig außerhalb der Ortschaft. Évi war, bevor sie Aja bekam, beim Zirkus gewesen und unterscheidet sich deutlich von den anderen Müttern des Ortes. Sie kann wunderschöne Torten backen, auf Stuhllehnen balancieren und bekommt regelmäßig Besuch von Zirkusfreunden. Auch Zigi, Ajas Vater kommt jedes Jahr im Herbst für zwei Monate zu Besuch, den Rest des Jahres verbringt er bei einem Zirkus in Übersee. Sein Besuch ein heiß ersehntes Ereignis, nicht nur für Aja, die sehr an ihrem Vater hängt, sondern auch für alle anderen Kinder des Dorfes. Denn Zigi kann so springen, dass er eine Kaffeetasse unter seinen Beinen durch von einer Hand in die andere wechseln kann und auch viele andere Tricks, die er ganz nebenbei in den Alltag einflicht.
Aja und Seri freunden sich ein wenig später mit Karl an, dessen Bruder verschwunden ist. Die drei Kinder bilden fortan ein stabiles Freundschafts- Dreieck, wenn sie räderschlagend durch die Gegend ziehen oder sich am liebsten in der Nähe von Évi aufhalten. Selbst die Mütter der beiden anderen Kinder unterliegen bald den Zauber der empathischen Évi. Mit dem Älterwerden ist die Dreier-Freundschaft Bewährungsproben ausgesetzt, speziell als die jungen Erwachsenen sich abkoppeln und ihr Glück im fernen Rom suchen, aber sie schafft es immer wieder bestehen zu bleiben.

Ein helles Sommerbuch

Zsusza Bank habe ich seit dem Roman „Schlafen werden wir später“ als warmherzige Autorin für Frauenthemen gespeichert. Und auch in „Die hellen Tage“ geht es um sehr emotionale Themen: Freundschaft und Mutterschaft. Auch diesmal wird es nicht klischeehaft oder abgeschmackt, sondern sehr bezaubernd.
Zsusza Bánk wählt als Erzählperspektive Seris Blick zurück auf die Kindheit. Damit ist es in Ordnung, wenn die Geschichte ein wenig nostalgisch wird. Sie fasst viele Tage in ein „immer“ zusammen. Immer waren sie am Badesee, immer haben die Mädchen ein Rad zum Abschied geschlagen, immer sind sie unter dem Birnbaum gesessen, immer hat das schiefe Tor gequietscht, immer waren Münzen zwischen den Tassen verstackt. Für die Geschichte ist es eine sehr schlüssige Erzählform. Sie hat damit das Erinnern an die Kindheit und damit etwas sehr subjektives, aber auch verspieltes, leichtes.
Obwohl der Fokus auf der Kinderfreundschaft liegt, gibt es auch die zweite Freundschaftsebene der Mütter. Zusammengehalten wird das ganze von der Hauptfigur Évi. Dass Évi die Hauptfigur ist, wird erst im Laufe der Erzählung klar. Sie hält die Fäden, und damit meine ich die Menschen zusammen. Sie ist der Angelpunkt, der mit ihrer unkonventionellen Lebensart und ihrer Sensibilität auch den Müttern der beiden anderen Kindern aus ihren Lebenskrisen hilft. Ihre Neigung selbstlos zu handeln, macht ihre eignen Lebenskompromisse erträglich, verbessert aber auch das Leben ihrer Mitmenschen.
Auch eine historische Einbettung der Ereignisse wird geliefert. Évi und Zigi sind ursprünglich aus dem kommunistischen Ungarn geflohen. Evi feiert nach langen Jahres des Wartens den Erhalt ihrer deutschen Staatsbürgerschaft mit einem großen Fest und später, als der eiserne Vorhang fällt kann es kaum einer glauben.
Der Romantitel bezieht sich auf den Satz „Die hellen Tage behalte ich, die dunklen gebe ich dem Schicksal zurück.“ S515, den Évi aus einem Schlager herausgehört hat. Und scheint auch das Lebensmotto der Figuren zu sein. Es gibt viele Verletzungen, viel, womit sie fertig werden müssen, aber sie geben die Hoffnung nach Heilung nicht auf. Sie gelingt auch immer wieder. Die dunklen Tage bleiben zurück. Gemeinsam lassen sich die Zumutungen des Lebens ertragen.

Ich konnte das Buch für ein paar Tage nicht aus der Hand legen, mochte damit nicht mehr aus meinem Liegestuhl mit dem Blick auf den türkisblauen See aufstehen. „Die hellen Tage“ ist schönes, angenehm zu lesendes Sommerbuch, das aber auch nicht zu seicht wird, keine Sorge. Mit ihm werden die Sommertage noch heller, noch schillernder, wie Pailletten auf einem Zirkuskostüm.


Zsuzsa Bánk
„Die hellen Tage“
Erscheinungstermin: 21.06.2012
Verlag: FISCHER Taschenbuch
Preis: € (D) 11,00 | € (A) 11,40
Umfang: 544 Seiten
Format: 18,8 x 12,3 x 2,7 cm
ISBN: 978-3-596-18437-8