Alt, aber gut

Was kann man von den Romanen des amerikanischen Autors John Williams erwarten? Er lebt mittlerweile nicht mehr, der Höhepunkt seines Schaffens war in den siebziger Jahren.

Roman

Was macht einen Roman zeitlos?

Seit meinem Lesefasten bin ich wieder extrem kritisch, was die Romanqualität angeht. Mindestens drei Bücher habe ich seither nur angelesen und sofort in die Bücherei zurückgebracht. Geschwafel, umständliche Formulierungen, holprige Geschichten halte ich derzeit nicht aus. Meine Lesezeit ist sehr kostbar. Darum beobachte ich, dass ich wieder lieber auf ältere Bücher zurückgreifen. Denn was nach einer gewissen Zeit immer noch überzeugt, hat vermutlich Qualität.

Damit meine ich nicht nur die Qualität der Sprache, die Erzählweise, sondern auch der Inhalt der Geschichte muss so sein, dass er heute noch trägt. Das kann historisch interessant sein, aber meist gibt es da einen Kern, der zur Entstehungszeit die Menschen berührt hat, aber es auch heute noch genauso schafft.

Die Romane von John Williams können das. John Williams (1922-1994) war ein Amerikaner, der an der Universität von Missouri lehrte und nur vier Romane verfasste. Zwei davon habe ich gelesen. „Augustus“ hätte ich ohne Zwang des lieben Lesekreises nie in die Hand genommen. Thematisch habe ich es nicht so mit den alten Römern. Aber nicht nur mir hat das Buch gefallen, auch alle anderen Lesekreisteilnehmen waren sehr angetan. Und aufgrund der herausragenden Qualität von „Augustus“, habe ich dann auch zu „Stoner“ gegriffen. Auch diesen Roman hätte ich nicht ausgewählt, weil mich der Titel eher an eine dumpfe Kiffergeschichte denken hat lassen.

Augustus

Der Augustus? Ja, es geht in diesem Roman um das Leben des römischen Kaisers. Er war der adoptierte Sohn von Julius Cäsar und schaffte es während seiner langjährigen Herrschaft das riesige römische Reich stabil zu halten. John Williams macht den großartigen Kunstgriff über Augustus in Briefform zu erzählen. Er lässt seine Zeitgenossen einander Briefe schreiben, in denen es um das Leben und Schaffen von Augustus geht. Cicero, Horaz, Marc Anton, Cleopatra, sind nur einige der illustren Autoren. Durch diese Vielstimmigkeit wirkt der Roman extrem lebendig.

Der Romanbeginn beschäftigt sich hauptsächlich mit der Machtergreifung von Augustus, die nach Cesars Tod keineswegs sicher für den jungen Oktavian (so sein Name vor der römischen Herrschaft) war. Hier erfährt man, wie die politischen Spielchen im Römischen Reich zu spielen waren. Dieser Teil kann vielleicht junge Frauen weniger interessieren. Doch auch hier überzeugt schon die literarische Qualität. Und später werden zwischen den Briefen die die Tagebücher von Julia, Augustus Tochter eingeführt. In diesen geht es um das Leben der Römerinnen. Die Juliaerzählungen waren im Lesekreis das Highlight der Frauen im mittleren Alter. Und für die Senioren gab es noch den Romanschluss. Im letzten Teil des Romans zieht er schon kraftlose Augustus selber Bilanz über sein Leben in Form eines Briefes.

Stoner

Auch in „Stoner“ geht es um eine Männerbiographie. William Stoner wird als Bauernsohn geboren, entdeckt während des Landwirtschaftsstudium seine Liebe zur Literatur und wird Uniprofessor. Er schlägt sich in der geschützten Welt der Universität sehr unauffällig durch. Der Roman wird von einem konventionellen Erzähler erzählt und begleitet Stoner vom Zeitpunkt des Erwachsenenwerdens bis zum Tod. Die Handlung ist nicht aufregend, ein normales Leben mit Höhen und Tiefen, aber seit der Wiederveröffentlichung des Buches 2006 wurde es ein Welterfolg. Warum?

Qualitäten der Romane

Es geht in beiden Romanen darum, was ein menschliches Leben ausmacht. Wie bewege ich mich in der Gesellschaft? Welche Kompromisse muss ich machen? Was heißen Entscheidungen langfristig?

John Williams schafft es die einzelnen Lebensphasen gut festzuhalten und zu charakterisieren. Die große Midlifefrage fasste er so zusammen: „Er war zweiundvierzig Jahre alt; vor sich sah er nichts, auf das er sich zu freuen wünschte, und hinter sich nur wenig, woran er sich gerne erinnerte.“ S229 Beim Lesen lief mir die Gänsehaut über den Arm.

John Williams gibt keine Antworten, er hat kein Rezept für das Leben, ist selber ratlos, aber sieht seinen Figuren genau zu.

Wenn es um die großen Fragen geht, ist die Einbettung im Zeitgeschehen unwichtig. Es macht keinen Unterschied, ob William Stoner oder Augustus das Internet gekannt hat oder mit Handys telefoniert hat. Beide Figuren quälen essentielle menschliche Themen. Die Frage nach dem Lebenssinn steht immer im Raum. „Er hatte jene Phase in seinem Leben erreicht, in der sich ihm mit wachsender Dringlichkeit eine Frage von solch überwältigender Einfachheit stellte, das er nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte. Er begann sich nämlich zu fragen, ob sein Leben lebenswert sei, ob es das je gewesen war.“ S227

Auch eine gewisse Einsamkeit teilen sich Stoner und Augustus. Augustus geht mit dem Tod Cesars und seiner neuen Rolle als Herrscher zu seinen engen Freunden auf eine gewisse Distanz, die ihn manchmal schmerzt. Er muss für die Rolle des Imperators viele persönlichen Beziehungen aufgeben, nicht zuletzt die zu seiner vergötternden Tochter Julia. Auch Stoner ist alleine. Trotzdem er Frau und Tochter hat, bleibt er auf sich gestellt. Eine Geliebte macht ihn so lange glücklich, wie die Affäre geheim bleibt. Dann treiben sie die Feindschaften an der Uni und die gesellschaftlichen Gepflogenheiten auseinander. So ist es nur konsequent, dass Stoner, als er merkt, dass sein Leben zu Ende geht, es vorzieht alleine zu sterben.

Das einzige Manko, das beide Bücher haben, ist, dass beide Romane eher zäh beginnen. Erst im Mittelteil nehmen sie Fahrt auf und die Enden sind großartig. „Stoner“ beginnt überhaupt mit einem Absatz, bei dem man sich fragt, warum man noch weiterlesen soll.

Ein Satz darin berichtet über Stoners Arbeit an der Uni: „Er brachte es nicht weiter als zum Assitenzprofessor, und nur wenige Studenten, die an seinen Kursen teilnahmen, erinnern sich überhaupt mit einiger Deutlichkeit an ihn.“ Warum sollen wir Leser dann ein ganzes Buch über diese unscheinbare Romanfigur lesen? Ich habe den Verdacht, dass das der subtile Witz des Autors ist, der uns damit erst recht neugierig machen will. Auch in Augustus schimmern immer wieder ganz humorvolle Feinheiten durch. Ich kann nur die Antwort geben: John Williams erzeugte sehr solide Qualitätsware, die wir auch noch in hundert Jahren lesen können, und immer noch werden wir beim Lesen zustimmend nicken, ja, genauso ist es.

Ach, und so schön noch ein Zitat zum Schluss aus „Stoner“: „ Manchmal, wenn er in Bücher vertieft war, überkam ihm die Ahnung dessen, was er alles noch nicht gelesen hatte, und die Ruhe, auf die er hinarbeitete, wurde von der Erkenntnis erschüttert, wie wenig Zeit ihm doch im Leben blieb, um soviel zu lesen, um all das lernen zu können, was er wissen musste.“ S36


John Williams
„Augustus“
dtv Verlag
Taschenbuch
8. Dezember 2017
978-3-423-14612-8
12,90 € [D]

John Williams
„Stoner“
dtv Verlag
Taschenbuch
1. Dezember 2014
978-3-423-14395-0
10,90 € [D]