Zeitverzögertes Weinen

In „Schlafen werden wir später“ von Zsuzsa Bánk dürfen wie die E-Mails von Márta und Johanna lesen.

Zsuzsa Bánk

Müsste ich eine Wetterstimmung für dieses Buch festlegen, wäre es ein verregneter, windiger Novembertag. Klingt nicht sehr einladend für einen Roman, oder? Im Leben scheint nicht immer die Sonne. So ist es auch bei den beiden Freundinnen Márta und Johanna. Sie kennen sich seit ihrer Kindheit und halten sich gegenseitig mittels E-Mails am Laufenden. Márta sitzt im städtischen Frankfurt mit drei Kindern und einem Ehemann, sie möchte nichts lieber tun, als an ihrem Erzählband weiterzuschreiben. Johanna ist Lehrerin und verdaut eine vergangene Beziehung und ein überstandene Krebserkrankung in einem kleinen Häuschen im Schwarzwald. Die Freundschaft ist eng, was schonungsloses Berichten erfordert: es gibt Anklagen, es gibt Jammern, es gibt aber auch Euphorie und Aufmunterung. Eingebettet sind Márti und Johanna in ein Umfeld, das mit weiteren starken Nebenfiguren, zumeist weiblich, ausgestattet ist, was ein schönes Panorama über Frauenleben ergibt.

Anfangs hat mich die Sprache des Romans genervt. Schwülstig habe ich sie einer Freundin gegenüber bezeichnet, blumig hat sie gemeint. Da ich aber nach den ersten mühsamen Seiten in die Leben der beiden Frauen hineingekippt bin, habe ich sie mir versucht schönzureden: Márta ist ja auch Lyrikerin, sie muss so schreiben und Johanna, die leider sehr ähnlich klingt, ist doch Deutschprofessorin. Lass ihnen halt die Freude an der ausgesuchten Sprache, dachte ich mir. Dann kam wieder das Argument, wenn die beiden solche Zeitnot haben, wie sie immer schreiben, würden sie sich doch auch beim Schreiben kurz und knackig fassen, oder? Egal. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Es ist ein dickes Buch, dass sich aufgrund der eher kurzen Briefabschnitte zügig lesen lässt. Nur hat es neben sich kein anderes Buch vertragen. Eine Qualität, sie ich selten entdecke. Ich lese normalerweise 2-3 Bücher parallel (ein leichtes für die U-Bahnfahrt, einen Ratgeber oder Sachbuch und einen dicken Wälzer fürs Nachtkästchen), aber dieser dicke Briefroman wollte auch in die U-bahn mitgenommen werden.

Warum hat er mich so gefesselt? Drei Gründe konnte ich dafür finden.

Was mich sehr angesprochen hat, war der Ungarn/Burgenlandbezug. Mártas Familie hat, wie die Autorin, ungarische Wurzeln, Johanna Burgenländische, später auch Wiener. Und so war mir auch ganz familiär beim Lesen zumute. Auch die Qualen des beruflichen Schreibens werden von der Autorin sehr nachvollziehbar dargestellt.
Der Hauptgrund ist aber, dass „Schlafen werden wir später“ ein Buch über Frauen in der Lebensmitte ist. Beide sind vielbeschäftigt und in einer Lebenssituation etabliert, aber gleichzeitig bleibt eine Frage offen:

„[…]Was stelle ich an mit mir und meinem losgetretenen, zur Hälfte, vielleicht über die Hälfte hinaus verbrauchten Leben?“ S 506

Und diese Verhandlung mit dem Lebenweg hat mich gefesselt. Da ist der Alltag, der die Energien frisst, da ist eine Veränderung, die sich ankündigt, da sind große Wünsche, da ist Ratlosigkeit, da kommen Schicksalsschläge. Wie gehen die beiden Frauen damit um? Wie viel ertragen sie? Beide haben mit den Ereignissen gelernt, erst zeitverzögert zu Weinen; vor den Kindern, vor den Freunden stark zu sein und dann erst abends, alleine im stillen Kämmerlein bitterlich zu Weinen.

Ich muss zugeben, manchmal hat mich ihr Jammern auch runtergezogen, mich genervt. Aber dieses Jammern, hat in einer engen, warmen, herzlichen Freundschaft auch Platz, das darf sein. Schön habe ich gefunden, dass diese Freundschaft so einen Stabilität im diesem ungewissen Leben ist, dass es nur der bedrohlichen Krebserkrankung gelungen ist, einen Schatten darauf zu werfen.

Man merkt vielleicht mehrmals in diesem Text, dass ich an diesem Buch und an den Romanfiguren versuche einiges zu verteidigen. Ich bin nicht mehr neutral. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich gehöre dazu, ich lebe auch in ihrem Umfeld, Márta und Johanna sind mir nahe, sie könnten meine Freundinnen sein.

„Schlafen werden wir später“ ist kein perfektes Buch, nein, es ist ein menschliches Buch mit viel Herz.


Zsusza Bánk
„Schlafen werden wir später“
Taschenbuch
Preis € (D) 12,00 | € (A) 12,40
ISBN: 978-3-596-19831-3
688 Seiten
FISCHER Taschenbuch