
Über Colson Whiteheads Roman „Underground Railroad“ hat schon gefühlt jede Zeitung und jeder Blog geschrieben, trotzdem mag ich ihn hier auch nochmal vorstellen. Denn diese Geschichte ist wichtig.
Für meine Kinder ist es nichts Besonderes mit Kinder zu spielen, die eine andere Hautfarbe haben oder anders aussehen. Erst als uns am Wochenende ein Buch aus meiner Kindheit „Zehn kleine Negerlein“ untergekommen ist, wurde mir das so richtig bewusst. Meine Kinder haben sich noch nie Gedanken über ihre oder die Hautfarbe von anderen Menschen gemacht.
Bevor ich das Buch aufschlug, musste ich den Begriff „Neger“ erklären, dass das eine Bezeichnung für dunkelhäutige Menschen ist, die heute als beleidigend empfunden wird. 1964 als das Buch herausgegebenen wurde, da war es normal, dunkelhäutige Menschen so zu nennen. Und ich begann zu erzählen, ich sprach über Afrika, die Sklaverei und Baumwollfelder. Natürlich kindgerecht, also ohne Auspeitschen und Aufhängen, aber mit harter Arbeit, Armut und Unfreiheit. Es kamen viele Fragen auf, was ist Baumwolle, warum hörte die Sklaverei auf und und was war mit den Skavenkindern? Gehörten die auch jemandem? Was machten die? Gingen sie in die Schule? Ein weites Feld spannt sich auf.
Underground Railroad
Bei meinen Erklärungen orientierte ich mich an meiner Schulbildung, aber noch viel mehr half mir der Roman „Underground Railroad“ von Colson Whitehead, den ich kurz davor gelesen hatte. Die Sklavin Cora wurde auf der Randall Farm geboren. Schon ihre Großmutter gehörte den Randalls. Ihre Mutter war, als Cora noch ein kleines Mädchen war, die Flucht von der Farm gelungen. Seither hat niemand von ihr gehört. Selbst der berüchtigte Sklavenfänger Ridgeway konnte sie nicht aufspüren. Cora wächst mit Trauer und Wut auf, sie versteht nicht, warum sie ihre Mutter nicht mitgenommen hat. Sie wird stur und unangepasst, und damit zu einer Außenseiterin in der Skavencommunity. Caesar, ein Sklave, der lesen kann, will Cora zur Flucht überreden. Er will sie als Art Talisman, weil ihrer Mutter als einziger Sklavin jemals die Flucht von der Farm gelungen ist. Zuerst lehnt Cora ab, aber nach einem grausamen Vorfall willigt sie ein. Die Flucht gelingt mit knapper Not, Cora verletzt dabei einen weißen Jungen und eine Freundin muss zurückgelassen werden. Die beiden flüchten über ein geheimes unterirdisches Eisenbahnsystem mit der Hilfe von weißen Fluchthelfern. Die Eisenbahnen fahren verschiedenen Stationen an. Bald kostet Cora die Freiheit, oder das was sie dafür hält. Doch sie kommt schon nach kurzer Zeit drauf, dass auch hier die Weißen ein abgekartete Spiel spielen. Sie läuft noch etliche weitere Stationen an und sieht unterschiedliche Arten wie Schwarze leben dürften oder müssen. Sie gerät auch in die Fänge von Sklavenfänger Ridgeway, kann aber mit Hilfe anderer ehemaligen Sklaven entkommen. Was Freiheit ist, weiß Cora auch am Schluss des Romans nicht, aber sie bricht wieder zu neuen Ufern auf und verliert nicht die Hoffnung.
Ein starkes Buch! Mich hat vor allem erstaunt, dass ich noch nie etwas von der historischen „Underground Railroad“ gehört hatte. Es war ein Netzwerk von Fluchthelfern, dass in diesem Roman als reales Eisenbahnnetz ausformuliert wurde. Anhand der Stationen wird gezeigt, wie unterschiedlich die Gesetzgebung der amerikanischen Bundesstaaten in Bezug auf Sklavenhaltung war. Der Roman gibt einem einen sehr nahen Eindruck, was es heißen konnte, mit schwarzer Haut und unfrei geboren zu sein. „Underground Railroad“ ist sicher kein Buch, um abends gut einzuschlafen, aber eines, dass einem eine Welt eröffnet, die man als heutige Europäerin glücklicherweise nie kennengelernt hat. Die Übersetzung holpert manchmal, aber nicht desto Trotz ist der Roman sehr lesenswert und recht plastisch erzählt.
Zwischen mir und der Welt
Nachdem man „Underground Railroad“ fassungslos weggelegt hat, drängt sich die Frage auf: was heißt es heute, mit dunkler Haut in den USA geboren zu werden? Diese brutale Sklavenhaltung muss doch Auswirkungen bis in die Gegenwart haben. Ein Essay mit dem Titel „Zwischen mir und der Welt“ bietet eine Antwort. Der Autor ist der bekannte, amerikanische Intellektuelle Ta-Nehisi Coates (schönes Portrait im aktuellen Zeitmagazin), aber er schreibt das Buch als Vater für seinen fünfzehnjährigen Sohn, um ihm mitzugeben, was von ihm als Dunkelhäutiger erwartet wird und wo für ihn die Gefahren liegen. Das Buch hat mich auch zutiefst berührt, meinen Blickwinkel geöffnet und mir gezeigt, dass die Benachteiligung noch nicht vorbei sind. Rassismus ist präsent. Der schwarze Körper ist noch gefährdet, weißen Menschen, Willkür und Vorurteilen ausgesetzt.
Das Kinderbuch „Die zehn kleinen Negerlein“ gibt es jetzt unter den Titel „Zehn kleine Kinderlein“. Die Zeichnungen sind dabei gleich geblieben, die sich mir nicht erschließenden Inhalte (ein Kind verletzt sich beim Holzhacken) auch. Das Buch und das seltsames Lied, das dem Buch zu Grunde liegt, kann unmöglich mehr zur Unterhaltung dienen, allenfalls vielleicht als Basis zum Diskurs. Ich glaube, das Buch kann man getrost in Vergessenheit geraten lassen.
Colson Whitehead
„Underground Railroad“
Roman
Hanser Verlag
übersetzt aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Erscheinungsdatum: 21.08.2017
352 Seiten
Hanser Verlag
Fester Einband
ISBN 978-3-446-25655-2
ePUB-Format
ISBN 978-3-446-25774-0
Deutschland 24,00 €
Österreich 24,70 €
Ta-Nehisi Coates
„Zwischen mir und der Welt“
Sachbuch
FISCHER Taschenbuch
Erscheinungstermin: 24.08.2017
Preis €(D) 12,00 | € (A) 12,40
Umfang: 240 Seiten
Format: 19,0 x 12,5 x 1,7 cm
ISBN:978-3-596-29832-7
Das klingt nach einem spannenden Buch. Erst gestern hat mir eine Freundin von einer Begebenheit aus Ihrem Bekanntenkreis erzählt, die mich schockiert, obwohl sie sicher keine Seltenheit ist: Eine Mutter war mit Ihren Kindern im Zug nahe Wien unterwegs. Gegenüber saß ein junges Paar, das sich über diese „Missgeburten“ unterhielt. Die Mutter hatte zu viel Angst um den Platz zu wechseln.
Unglaublich! Wir schreiben 2018, da sollte die Hautfarbe längst kein Thema sein müssen. Noch ein Hinweis: in Kürze bringe ich noch zwei Bücher zum Thema Diskriminierung und Vorurteile.
Tja, da hast du vollkommen recht!
Freu mich schon auf deine nächsten Büchertipps.