Die zweite Erde

Bauen wir uns die Welt, wie sie uns gefällt?

Im Roman „Die Terranauten“ betrachtet T.C. Boyle sehr unterhaltsam ein vom Menschen konstruiertes, geschlossenes Ökosystem.

T.C.Boyle "Die Terranauten"

Im süßen Animationsfilm „WALL.E – Der Letzte räumt die Erde auf“ ist die Hauptfigur ein kleiner, etwas verrosteter Roboter, dessen Aufgabe es ist, Müll zu sammeln und zusammenzupressen. Fleißig fährt er auf der menschenleeren und verwüsteten Erde herum, und presst, bis er eines Tages auf EVE trifft, einen stylischen Roboter ganz andere Art und fasziniert ist. EVEs Aufgabe ist es, nach Lebenszeichen, konkreter Pflanzen, auf der Erde zu suchen. Entsendet wurde sie von Menschen, die nun seit vielen hunderten Jahren im Weltall in einer Art Raumstation leben. Dort fehlt ihnen an nichts. Sie sitzen schwergewichtig auf fliegenden Sesseln und starren in Bildschirme.

Ist das die Zukunft?

Wir richten unsere Erde zugrunde, weil wir ohnehin eine für uns bequemere Welt entwickeln können? Und können wir das wirklich?

1991 wurde in der Wüste von Arizona das Experiment Biosphäre 2 gestartet. Das Ziel von Biosphäre 2 war ein eigenständiges, geschlossenes künstlich geschaffenes Ökosystem zu entwickeln und zu beweisen, dass leben in solch einer Umgebung möglich ist. Die künstliche Welt wurde für zwei Jahre lang von 8 Menschen bewohnt.

T.C. Boyle hat das Experiment Biospäre 2 als Thema für seinem Roman „Die Terranauten“ gewählt. Die Biosphäre 2 heißt bei ihm Ecosphere 2, ich nehme an, aus rechtlichen Gründen. Die Handlung beginnt in den Tagen, an denen die zweite Crew für die künstliche Ökosphäre bekannt gegeben wird. Kapitelweise abwechselnd erzählen drei Stimmen das Buch: die hübsche Nutztierexpertin Dawn Chapman, ihre gute Freundin, die ehrgeizige Linda Ryu und der selbstsichere Medienexperten Ramsey Roothoorp. Dawn und Ramsey werden ins Team aufgenommen, Linda nicht. Ihre Perspektive zeigt fortan die Sicht von außen, vom Team um das Experiment herum. Sie ist sehr eifersüchtig auf ihre Freundin Dawn und hofft durch ihren nimmermüden Einsatz zumindest zur nachfolgenden Crew zu gehören. Die Terranautencrew ist zusammengesetzt aus lauter Experten in den verschiedenen Bereichen, es gibt einen Techniker, eine Biologin, eine Meeresexpertin und so weiter. Zwischen den hochqualifizierten Terranauten menschelt es gewaltig. Zumal die Bedingungen in der künstlichen Welt nicht optimal sind. Hunger, einschleppte Tiere und Temperatur- und Sauerstoffschwankungen machen den Menschen zu schaffen. Das Credo der Crew lautet nichts rein, nichts raus, sie versuchen also die Ecosphere 2 dicht zu halten, damit das Experiment nicht wie bei der ersten Crew als gescheitert gilt. Und diese Autarkie ist nur sehr schwer durchzuhalten. Trotzdem keimt die Liebe.

Zum einen gelingt T.C. Boyle mit „Die Terranauten“ ein unterhaltsamer BIG-Brother-Roman. Acht Menschen auf engsten Raum unter extremen Bedingungen, da muss es Dramen geben. Außerdem bietet er fundiertes Hintergrundwissen über das reale, historische Experiment und ganz subtil gibt er uns Lesern noch ein Gespür für die komplexe Zusammenhänge eines Ökosystems. Beispielsweise dürfen keine Kosmetika mit Duftstoffen in die künstliche Welt eingebracht werden, weil diese sich früher oder später in der Nahrung der Terranauten befinden würde. Für mich ist „Die Terranauten“ wieder ein tadelloser Roman, wie ich sie von T.C. Boyle liebe. (Der punkige Autor wird uns noch mit anderen Romanen durch den Umwelt-Bücherschwerpunkt begegnen.)

T.C. Boyle ist in dieser Geschichte gnädig, er lässt das Experiment gut ausgehen. Es wird im Buch trotz der Pannen und Hindernisse als Erfolg gefeiert, während es in der Realität als gescheitert gilt. Derzeit wird die echte Biosphäre 2 als Forschungsstation von der Universität von Arizona genutzt. Gleichzeitig zeigt der Autor die Grenzen einer vom Menschen erschaffenen Welt deutlich auf und macht uns keine Hoffnung, dass das lange gut gehen könnte. Was im Kleinen schief läuft, läuft leider auch in der Biosphäre 1, der Erde, nicht rund: Überbevölkerung, Missernten aufgrund des unberechenbaren Klimas, Revierkämpfe zwischen den Menschen, Kippen von Ökosystemen und so weiter.

Was passiert mit dem fleißigen Roboter WALL-E? EVE findet eine Pflanze, ein Zeichen, dass sich die Erde erholt hat und wieder Leben auf ihr möglich ist. Die Menschen erinnern sich mithilfe von alten Filmen an das frühere wunderbare Leben und an die Möglichkeit der Liebe und wollen zurück auf die Erde. Aber die Maschinen, die ihr Leben im Weltraum erhalten, wollen sie nicht gehen lassen.

Es ist ein Kinderfilm, es gibt ein Happy End, die Liebe siegt. Die Frage ist offen, wie es in der Realität ausgehen wird.


T.C. Boyle
„Die Terranauten“
übersetzt aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
Erscheinungsdatum: 09.01.2017
608 Seiten
Hanser Verlag
Fester Einband
ISBN 978-3-446-25386-5
Deutschland 26,00 €
Österreich 26,80 €