Eidechsen und Erbsen

Weichenstellung: Lebensentwürfe zwischen Zwanzig und Dreißig

Klemm:

Zwischen Zwanzig und Dreißig kann man sich ausprobieren, sich vieles ansehen, reisen, Spaß haben, aber auch lernen auf eigenen Beinen zu stehen und Entscheidungen zu treffen. Die Weichen für die künftigen Jahre werden gestellt.

So geht auch auch zwei jungen Frauen: Nora und Annika. Beide sind in Beziehungen mit Männern, die bereits Kindern haben und beide leben von niedrig qualifizierteren Jobs. Beide beäugen sie kritisch die Lebensentwürfe der anderen, wissen aber selbst noch nicht recht wohin. Die beiden Frauen könnten in einem Buch vorkommen, tun sie aber nicht.

„Bei Schlechtwetter bleiben die Eidechsen zu Hause“ von Nadine Kegele

Nora ist eingebettet in einen stabilen Freundeskreis. Die lesbische Rita versucht schwanger zu werden, die Füchsin ist Yogalehrerin mit einem unpassenden Freund und Vera hat es lustig als Spross eines Sektimperiums. Nora selbst hat eine Beziehung mit Anton, der schon ein Kind aus früherer Ehe hat. Noras Mutter Erika liegt im Sterben, so hofft Nora zumindest. Sie hatte keine schöne Kindheit. Parallel zu Noras Leben wird Erikas Leben erzählt, ein Leben voller verantwortungsloser Männer, ungewollten Kindern und schlechten Jobs. Auch Nora kämpft darum, sich selbst finanziell zu erhalten.

Das Thema des Buches sind Beziehungen: Beziehungen zur Familie, zu Freunden und nicht zuletzt zu Tieren, der Hund der Mutter, der eingeschläfert wird, die Katze der Freundin, die Nora gekidnappt, der Hund der zur Nachbarin gehört. Die dünnhäutigen Eidechsen kommen immer wieder vor, mit ihrem abtrennbaren Schwanz als Sollbruchstelle. Nora sieht ihnen zu, wie sie kämpfen, spielen, schlafen und wie sie sich verstecken.

Nadine Kegele versteht es zu beobachten, egal ob Tier oder Mensch. Die Figuren sind eine herausragende die Stärke des Buches, sie sind jede mit einem vielschichtigen Charakter ausgestattet, nicht klischeehaft und über jede Person möchte man als Leser mehr erfahren. Ein zweite Stärke des Romans ist die sensible und ausgesuchte Verwendung der Sprache.

„Erbsenzählen“ von Gertrud Klemm

Annika ist mit dem wesentlich älteren Kulturjournalisten Alfred liiert. Auch der hat schon ein Kind aus einer früheren Beziehung. Und Annika darf nun die „Stieftussi“ spielen, die den Buben zum Fussball bringt. Die Beziehung zwischen Alfred und Annika weist ein deutliches Gefälle auf. Annika arbeitet als Kellnerin und trägt ihr Kunstgeschichtestudium als Alibi vor sich her. Sie hat neben dem redegewandten Alfred die Rolle der ruhigen Schönen, die sie mit einigen Ausbrüchen versucht abzulegen.

Gertraud Klemm entlarvt wieder die Spießigkeit und Verlogenheiten der verschieden Lebensentwürfe, sei es in der Vorstadt oder sei es in Kulturkreisen. Das titelgebende Erbsenzählen wird an dieser Stelle erklärt:

[…] ab Mitte zwanzig wurden alle ernst und die belanglosen Gespräche über Musik, Politik und Weltschmerz verschoben sich zugunsten der Gespräche über die Berufe und die Erfolge, über das vorankommen, eine einzige Erbsenzählerei. Man pickt sich die schönsten und größten Erbsen heraus, Gebrauchtwagen, 50-qm-Wohnung, und vergleicht sie mit den Erbsen anderer; und natürlich gibt es immer noch schönere und größere Erbsen, die man haben wollen soll, Neuwagen, Investmentfonds, Eigenheim, Wochenendhaus, Urlaube und natürlich der Nachwuchs, alles wird auf Facebook gepostet und beim zehnjährigen Maturatreffen auf den Tisch gekippt.“ S14

Die wenig ambitionierte Annika ist eine gute Beobachterin dieser Spiele, hat dann aber schlussendlich keinen brauchbaren Gegenentwurf zu bieten.

Am Zitat zeigt sich auch wieder schön die Stimme von Gertraud Klemm, wie gewohnt, mit Wut, mit Klarsichtigkeit, aber auch mit Witz.


Nadine Kegele
„Bei Schlechtwetter bleiben Eidechsen zu Hause“
Czernin
Euro 23,00
ISBN: 978-3-7076-0501-3
Seiten: 320
Ausstattung: Hardcover SU
Format: 12,5 x 19 cm

Gertraud Klemm
„Erbsenzählen“
Droschl
2017
gebunden , 13 x 21 cm
160 Seiten
ISBN: 9783990590065
€ 19