Das Fangirl im Literaturhaus

Das Literaturhaus Wien bescherte mir im Dezember einen wunderbaren Abend, es war der Samstag der Erich Fried Tage mit dem Schwerpunkt auf Graphic Novels.

Fünf tolle Autoren waren hintereinander am Programm. (Das Programm hätte für ein Graphic-Novel Festival über ein halbes Jahr gereicht). Die ersten beiden Künstler Scott McCloud und Bastien Vivès verpasste ich leider, ich kam inmitten von Craig Thomsons Vortrag.

Danielewski, Thompson, Lust

Craig Thompson

Craig Thompson war extrem sympathisch. Er trug einen Anzug und hat eine schüchterne Art. Er legte auch beim Signieren nicht das Jacket ab, obwohl im der Schweiß schon auf der Stirn hing. Und er machte sich die Mühe jedem, der sich zu ihm setzte zu fragen, was er mache und wirkte auch nach zwei Stunden des Signierens noch ehrlich interessiert. „Habibi“, das ich noch nicht gelesen hatte, ließ ich mir signieren. Seinen Klassiker „Bankets“ hatte ich schon vor vielen Jahren mit Begeisterung gelesen. Es ist eine autobiographische Erzählungen einer nicht so schönen Jugend. Die Zeichnungen in diesem dicken Buch sind in Schwarz- Weiss gehalten, die Geschichte ist außergewöhnlich gut erzählt. Ein Meisterwerk!

Was ich mir aus der Begegnung mit Craig Thompson mitgenommen habe, ist, dass er sagte, er müsse drei Monate lang jeden Tag zeichnen, um die Qualität zu bringen, die es in seine Graphic Novels schafft. Das war ein wenig deprimierend für mich, weil ich niemals die Aussicht habe, so gut zu werden. Gleichzeitig ist es auch erleichternd, zu wissen, es wäre möglich. Und auch ein Craig Thompson muss viel Arbeit in die Pflege seines außergewöhnlichen Talents legen.

Ulli Lust

Dann kam Ulli Lust. Sie hatte quasi ein Heimspiel. Aufgewachsen in Österreich, lebt sie nun in Berlin. Der Saal war brechend voll. Sie stellte ihre neue Graphic Novel vor: Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“. Die Geschichte darin schließt zeitlich an ihren großen Erfolg „Heute ist der letzte Tag vom Rest unseres Lebens“ an. Die Protagonistin versucht sich finanziell über Wasser zu halten und sich künstlerisch zu etablieren. Der Fokus liegt aber auf ihren beiden zeitgleichen Beziehungen, zum einen eine eher platonische Beziehung zu einem Schauspieler, zum anderen eine sexuelle zu einem dunkelhäutigen Flüchtling. Was sich nach dem totalen Klischee anhört, wirkt durch den autobiographischen Bezug gar nicht so. Ulli Lust schafft es sogar, es feministisch anzulegen.

Ich mag Ulli Lusts Zeichenstil. Sie hat so eine bestimmte, feste Art den Bleistift zu führen. In diesem Buch verwendet sich auch noch ein helles Rot, um Flächen anzulegen. Das Witzigste war für mich bei der Lesung, den Schauspieler aus dem Buch wiederzuerkennen. Alleine durch ihre Zeichnungen. Er ist alt geworden, meinte Ulli Lust beim Signieren lakonisch zu mir, blickte ihn, der etwas weiter weg von uns saß, aber sehr liebevoll an.

Mark Z. Danielewski

Nach Ulli Lust gab es wieder freie Sitzplätze. Der Raum entspannte sich. Der letzte Autor war Mark Z. Danielewski.

Seine Lesung habe ich ganz gehört, die Diskussion danach leider nicht zur Gänze, weil ich noch eine Signatur von Ulli Lust wollte, und noch ein wenig in der Signierschlange festgehalten wurde. Erzählt hat der Amerikaner Danielewski von seinem seriellen Roman „The Familiar“ (nicht auf Deutsch erschienen). Es geht in mehreren Staffeln, wie in einer Fernsehserie, um ein Mädchen und eine Katze. Danielewski sitzt mit einem ganzen Schreibteam daran.

Der Inhalt der Lesung ist bei mir nicht hängen geblieben, aber die Art des Vortags hat mich gefesselt. Danielewksi stand hinter einem Pult und blickte fast ständig ins Publikum. Gemeinsam mit seiner wunderbaren Stimme und der klaren Artikulation wirkte das magnetisch. Da erzählte uns ein Märchenonkel eine Geschichte.

Für mich ist Danielewski ein großer Künstler, weil er die Grenzen des Geschriebenen auslotet. Er arbeitet sehr konzeptionell. Schon sein ersten Bestseller „House of Leaves“ hat mich fasziniert. Es geht um ein Haus, das von außen kleiner ist, als von innen. Das wird mittels verschiedenster Textsorten beschrieben. (Ein Architektenroman ;-))Vor kurzem habe ich „Das Fünfzig-Jahr-Schwert“ gelesen. Es ist eine Art gruseliger Märchenroman, der großteils in gesprochener Sprache verfasst wurde und von genähten bunten Illustrationen begleitet wird. Ein geheimnisvoller Geschcihtenerzähler erzählt fünf Waisenkindern eine unheimliche Geschichte über Schwerter. Ein Schwert zerteilt ein Leben zum fünfzigsten Geburtstag und die Näharbeiten können als Versuch gesehen werden, Dinge zusammenzuhalten. Ein sehr poetisches Werk über eine Fünfziger-Krise. An Danielewski werde ich dran bleiben.

Nach dem Abend war ich so glücklich wie selten. Ich war schon lange auf keiner Lesung mehr gewesen. Ich war den ersten Tag nach einer einwöchigen Erkältung wieder auf den Beinen. Ich hatte eine liebe Begleitung. Ich durfte mit großartigen Künstlern plaudern. Ich erhielt schöne Zeichnungen, die extra für mich angefertigt wurden. Und ich hatte wieder große Lust selbst zu zeichnen und zu schreiben.

Habibi, Craig Thompson


Craig Thompson
„Habibi“
Reprodukt
Aus dem Amerikanischen von Stefan Prehn
Handlettering von Michael Hau
ISBN 978-3-941099-50-0
672 Seiten, schwarzweiß, 17 x 24 cm, Hardcover
EUR 44,00

Craig Thompson
„Blankets“
Carlsen Verlag
A: 39,10 €
Größe 17,30 x 24,50 cm
Seiten 592
Alter ab 14 Jahren
ISBN 978-3-551-74907-9

Ulli Lust
„Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“
A: 25,70 €
Erschienen: 11.09.2017
suhrkamp taschenbuch 4813, Klappenbroschur, 367 Seiten
ISBN: 978-3-518-46813-5

Mark Z. Danielewski
„Das Haus“
Originaltitel: House of Leaves
Taschenbuch, Broschur, 832 Seiten, 17,0 x 24,0 cm
ISBN: 978-3-442-73970-7
€ 18,99 [D] | € 19,60 [A] | CHF 25,90* (* empfohlener Verkaufspreis)
Verlag: btb
Erschienen: 19.10.2009

Mark Z. Danielewski
„Das Fünfzig-Jahr-Schwert“
Aus dem Englischen von Christa Schuenke
Verlag: btb
Taschenbuch, Broschur, 288 Seiten, 12,5 x 22,9 cm
ISBN: 978-3-442-71438-4
€ 15,00 [D] | € 15,50 [A] | CHF 20,50* (* empfohlener Verkaufspreis)
Erschienen: 10.07.2017