Gewellte Buchseiten während der Monsunzeit (Books got soft und wavy between their covers.)

Arundhati Roy hat bis jetzt zwei Romane geschrieben „Das Ministerium des äußersten Glücks“ und „Der Gott der kleinen Dinge“, eines der beiden Bücher werde ich nicht mehr hergeben.

Arundhati Roy:

Arundhati Roy hat Geduld. Die ließ nach ihrem ersten Roman zwanzig Jahre vergehen, bevor nun ihr zweiter Roman erschien. Natürlich ist die indische Autorin nicht von der Bildfläche verschwunden gewesen. Sie hat Essays und Drehbücher verfasst und sie hat als Aktivistin ihre wichtige Stimme zu Themen der indischen Politik und Gesellschaft erhoben.

„Das Ministerium des äußersten Glücks“

Auch ihr zweiter Roman „Das Ministerium des äußersten Glücks“ ist politisch. Die Handlung weist zahlreiche Stränge auf und ist ist recht komplex. Hauptfiguren sind Personen vom Rande der indischen Gesellschaft, anhand derer die Autorin einen Fokus auf aktuelle Probleme in Indien richtet. Anjuna, eine Hirja (Person ohne klarem Geschlecht), wird durch einen Anschlag auf Hindupilger traumatisiert. Der Vaters ihres Freundes Saddam Hussain wurde Opfer von Korruption und Kastendenken. Anhand der Liebesgeschichte von Tilo und Musa wird der Kaschmirkonflikt behandelt. Und die erste Miss Jebeen stirbt mit fünf Jahren unschuldig und viel zu früh. Die Autorin schafft aber einen versöhnlichen Schluss im friedlichen Jannat-Gästehaus auf einem Friedhof.

Es ist ein Roman, der vor den Problemen des realen Indiens nicht die Augen verschließt oder es idealisiert. Trotzdem hat er eine sehr individuelle Stimme und einen eigenen Ausdruck, der gerne auch ein wenig ins magische schwebt. Arundhati Roy schreibt sehr sinnlich, hat einen guten Blick für liebevolle Details und entlockt einem immer wieder einmal ein Schmunzeln.

Ich bin gerne in der von der Autorin geschaffenen Welt gewesen und habe den Roman mit Genuss gelesen. Schade finde ich, dass er mir nach der Lektüre nicht erhalten geblieben ist. Es gibt wenig, an das ich mich erinnere, an dem ich mich abarbeiten kann, wenig, das ich mitgetragen habe. Vielleicht hat der Roman zu viele Handlungsstränge, vielleicht will er zu viel und es wäre besser gewesen, nicht zwanzig Jahre zu warten, sondern jedes der vielen Themen einzeln zu behandeln?

„Der Gott der kleinen Dinge“

Ich habe Arundhati Roys ersten Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ vor meiner ersten Indienreise gelesen, es muss so um 1998 gewesen sein. Nach meiner ersten oder zweiten Indienreise 2003/4 habe ich ihn wieder gelesen und vor ein paar Wochen hatte die Idee, ihn mir wieder herzunehmen. (Mein Exemplar ist auf Englisch und schon recht zerfleddert, ich habe auch noch einen Zettel mit Zugabfahrtzeiten in einer fremden Handschrift darin gefunden.)

Jetzt sind meine Bilder von Indien konkreter, ich kann es spüren, wie sich die von der Luftfeuchtigkeit gewellte Buchseiten im Kerala des Monsuns anfühlen müssen. Und ich habe mich von der Geschichte wieder mitreissen lassen. Nicht umsonst hat dieser Roman 1997 den Bookerpreis erhalten.

Hauptfiguren sind die zweieiignen Zwillinge Rahel und Esthappen. Ihre Mutter hat den alkoholkranken Vater verlassen und lebt nun wieder im Haus ihrer Eltern. Dort residiert auch noch eine unverheiratete Tante und der geschiedene Bruder der Mutter Chacko. Der Kern der Geschichte behandelt einen kurzen Zeitraum, als die Zwillinge sieben Jahre alt sind. Die syrisch-christliche Familie bekommt Besuch von Margret und Sophie Mol, der Exfrau und der Tochter des geschieden Chackos, die normalerweise in England leben. Sophie Mol ist ein wenig älter als die Zwillinge, die Kinder freunden sich schnell an. Doch in der Familie gibt es Heimlichkeiten, eine Liebe, die es nicht geben darf. Die Kinder werden ganz unverschuldet in diesen Konflikt hineingezogen und in einem Tag ändert sich alles. Das ist eine Aussage des Buches.

Eine andere ist, dass der Kommunismus, der alle Menschen gleich machen sollte und in Kerala gut verankert und verbreitet ist, nicht über dem Kastenwesen steht. Die Frage „wer darf wen lieben und wie sehr“ wird immer noch nach alten Regeln verhandelt.

Das Buch hat eine Magie, die Autorin läuft zur Hochform auf, wenn sie ihren Erzähler aus der Sicht der Kinder berichten lässt. Sie kann die kindliche Logik wunderbar wiedergeben. Zählt es, wenn du im Traum Fisch gegessen hast? Denn nur was zählt zählt. Zählt es, wenn du im Traum glücklich bist?

Interessant dabei ist, dass eine Frage die Autorin fast über 20 Jahre beschäftigt hat, denn sie kommt in beiden Romanen vor:

„Wo sterben alte Vögel? Fallen sie vom Himmel wie Steine auf uns? Stolpern wir auf der Straße über Kadaver? Glaubst du nicht, dass der Allessehende, der Allmächtige, der uns auf die Erde gestellt hat, nicht auch angemessene Vorkehrungen getroffen hat, um uns wieder von hier fortzubringen?“ S16

Die Frage wird so im „Ministerium“ gestellt und bildet einen Ausgangspunkt in ein Geschäftsmodel zur Beerdigung von Menschen, die von ihren Religionen ausgeschlossen wurden, im „Gott“ wird die Frage nach den toten Vögeln von den Kindern angerissen.

In beiden Romanen gibt es ein zentrales Haus oder einen zentralen Platz, der die Menschen hält. Diese Verortung hat wahrscheinlich mit Arundhatis Roys Ausbildung als Architektin zu tun. Es ist schön beide Bücher hintereinander zu lesen.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich mein Exemplar des „Ministerium des äußersten Glücks“ verschenken soll, was ich aber weiß, ist, dass ich den „Gott der kleinen Dinge“ in zehn Jahren wieder zur Hand nehmen werde. Das Buch bleibt.


Arundhati Roy
„Das Ministerium des äußersten Glücks“
S. Fischer Verlag
Hardcover
Originalsprache: Englisch
Übersetzer: Anette Grube
Preis € (D) 24,00 | € (A) 24,70
ISBN: 978-3-10-002534-0

Arundhati Roy
„Der Gott der kleinen Dinge“
S. Fischer Verlag
Hardcover
Originalsprache: Englisch
Übersetzer: Anette Grube
Preis € (D) 12,00 | € (A) 12,40
ISBN: 978-3-596-52168-5
voraussichtlich ab dem 22. Februar 2018 im Buchhandel