Ja, es geht um Feminismus, nur wollte ich das nicht schreiben, denn es klingt doch so verstaubt.
Am Polterabend einer lieben Freundin, der mehr ein gepflegtes Cocktailtrinken unter Akademikerinnen mit Konversation über Literatur war, klebten wir uns ein Tattoo auf: Feministin sagte es. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich als eine Solche bezeichnen würde. Zu verschiedenen Frauenfragen hatte ich Meinungen, aber das Label Feministin hatte für mich einen staubigen Beigeschmack.
Untenrum frei
In dieser Cocktail-Bücherrunde wurde auch über Margarete Stokowskis Buch „Untenrum frei“ geredet, das auch schon länger auf meiner Leseliste stand.
Wenn die Frage kommt, ob es heute noch notwendig sei, Feministin zu sein, dass antwortet Margarete Stokowski mit einer Gegenfrage: „Wenn du glaubst, dass wir keinen Feminismus mehr brauchen, heißt das du glaubst, das hier ist der Endzustand?“ S 193
Endzustand
Das kann nicht der Endzustand sein, sage ich als Mutter. Denn ab den Zeitpunkt der Mutter werden werden alle schon gelöst geglaubten Fragen wieder aufgeworfen und müssen neu verhandelt werden. Wer räumt den Geschirrspüler aus, der putzt, wer bleibt zuhause, wenn die Kinder krank sind? Karriere rückt in weite Ferne und ein anständiges Gehalt ebenso.
Über Kinder kann Margarete Stokowski nicht aus eigener Erfahrung reden, sie führt aber diesbezüglich ein paar treffende Beobachtungen in ihrem Bekanntenkreis an.
Das Buch „Untenrum frei“ ist, bietet Überblick, Gedankenanregungen und vor allem echt gute Unterhaltung. Die gelernte Philosophin Stokowski, die gut zehn Jahre jünger als ich ist, greift das verstaubte Thema Feminismus mit irrsinnigen Witz und eine Leichtigkeit, aber auch gleichzeitig einer Ernsthaftigkeit, wieder auf.
Die Autorin beginnt das Buch „Untenrum frei“ mit ihrer Kindheit und den Rollenklischees, denen auch sie aufgelegen ist. Anhand von Disneyfilmen zeigt sie wie ein Mädchen sein soll. Und auch wie wir diese Bilder in uns verinnerlicht haben. Wenig reden, schön aussehen, Glitzer und Pink.
Im zweiten Kapitel geht es neben dem Erwachsen werden auch über Medienanalyse. Denn an Büchern, Medien, dem Internetkanälen kommen die Vorbilder von jungen Menschen. Die Frage ist, welches Frauenbild vermittelt wird, wenn jedes beliebige Coverthema von Bluthochdrucktherapie, über eher naheliegende Themen wie Schlaf oder Freuds 150. Geburtstag bis Zucker mit einer nackten Frau illustriert wird. Dann geht es weiter zur Frage, ob den die Weltherrschaft für Frauen anzustreben sei. Diese wird mit einem klaren Nein beantwortet, weil Weltherrschaft niemals ein Option sein kann. Auch der philosophische Überbau wird beleuchtet. Mein Lieblingskapitel ist Eine Poesie des „Fuck you“ benannt. Hier geht es um das Handeln. Im Kleinen agieren und reagieren, um im Großen etwas zu bewirkten.
„Also machen wir weiter, und wir brauchen keine Erlaubnis dafür.“ S193
Das Buch ist graphisch sehr schön gemacht. Am Cover streicht ein orangfarbenes Kreuz das Kartongrau durch. Die Seiten schließen bündig mir dem soliden Kartoncover ab. Es fühlt sich gut an da darüberzustreichen. Ein sehr sinnliches Buch. Es bleibt auch gerne offen, was wichtig ist, wenn man gerne etwas ein zweites Mal nachlesen will. Praktisch ist auch die Literaturliste, die im Anhang geführt wird. Hier empfiehlt die Autorin Basislektüre, aber auch vertiefende Bücher.
Empfehlung
Also für „Untenrum frei“ muss ich ein Empfehlung aussprechen! Für alle, egal ob Mann oder Frau! Denn Feminismus ist mehr als eine stylische Schift auf einem hübschen T-Shirt.
Auf der Hochzeit der lieben Freundin trug ich hohe Schuhe, was bei mir heißt, Schuhe mit einem ca. 3 cm hohen Absatz. Ich konnte nicht schnell gehen. Ich kam meinen Kindern kaum hinterher. Ich war zum Sitzen verdonnert. Schon nach dem Mittagessen konnte ich gar nicht mehr gehen und fragte mich, wer sich hohe Schuhe für Frauen ausgedacht hatte. Und warum Frauen da mitmachten. Ich packte meine bequemen Sandalen aus dem Rucksack, die hatte ich eingesteckt, falls es doch noch warm werden würde. Ich trug die Sandalen über der Feinstrumpfhose, die ich nicht ausziehen wollte, weil mir kalt war. Jede Moderedakteurin wäre vor Schreck vom Sessel gefallen. Egal, dachte ich. So fühle ich mich wohl, so kann ich hier noch Spaß haben. Auf meinem Arm war noch immer das Feministin-Tattoo.
Der Ursprung der Welt
Wer es gerne noch spielerischer und graphischer mit dem Feminismus anfreunden mag, dem kann ich noch die Graphik Novel „Der Ursprung der Welt“ von Liv Strömquist empfehlen. Hier geht es in witzigen Schwarzweiß Bildern hauptsächlich um die weiblichen Geschlechtsorgane. Und so gut konnte mir keine Biologielehrerin meine Geschlechtsteile erklären, wie diese offenen, lustigen und auch wütenden Zeichnungen. Spoiler: Die Klitoris ist mehr als ein kirschkerngroßer Knubbel.
Margarete Stokowski
„Untenrum frei“
Rowohlt
Preis: € 19,95
Seitenzahl: 256
ISBN: 978-3-498-06439-6
08.09.2016
Erhältlich als: Hardcover, e-Book
*Titel von Margarete Stokowski ausgeborgt
Liv Strömquist
„Der Ursprung der Welt“
avant-verlag
Preis: € 19,95
Veröffentlicht: Mar. 2017
Buch: 140 Seiten , vierfarbig , Softcover
ISBN: 978-3-945034-56-9