Sinnlicher Lavendel zum Lesen

Was ich an Hanns-Josef Ortheil liebe und was nicht

Hanns-Josef Ortheil

Ein Antwort auf sein Buch „Was ich liebe und was nicht“

Hanns-Josef Ortheil hat letztes Jahr ein Buch herausgebracht mit dem Titel „Was ich liebe und was nicht“. Ihn inspirierte dabei das „Kopfkissenbuch“ der japanischen Hofdame Sei Shonagon, das ich leider noch nicht gelesen habe. Er erzählt in dem Buch über sich und sein Verhältnis zum Beispiel zum Kino, zum Reisen, zur Mode, zur Musik, zur Kunst oder zum Schriftstellerleben. Dabei möchte er nicht nur Auskunft geben, sondern will den Leser motivieren, über sich selbst nachzudenken, seine Vorlieben und Abneigungen, über seine Gewohnheiten, seine Rituale und seine Haltungen. Und vielleicht mag der Leser sie auch schriftlich festhalten. Übers Lesen schreibt Ortheil zum Beispiel:
„Dass Lesen keine bloße Aufnahme und kein andächtiger Nachvollzug eines Textes sein sollte, sondern durch Schreiben erwidert werden müsse, war (und ist bis heute) das Grundprinzip meines Lesens.“ S345

Wenn er das will, bittesehr!

Was ich Hanns-Josef Ortheil liebe:

  • Dass er ein Vollblutschriftsteller ist. Nachdem er seine Pianistenkarriere aufgeben musste, verbringt er sein Leben mit Schreiben, weil Worte die andere Sprache sind, die ihm seine Eltern mitgegeben haben. (Siehe meinen Text über sein Buch „Der Stift und das Papier„)
    „Ich sitze an einem Tisch, blicke auf das Papier, schließe kurz die Augen und beginne zu schreiben. In wenigen Sekunden tut sich das neue und andere Universum auf. Es hat etwas stark verlockendes, weil ich nur ahne, aber nie sicher weiß, woraus es besteht und was es verbirgt.“ S 347  So überraschend habe ich das Schreiben auch immer empfunden, das kann ich gut nachvollziehen, das macht die Lust aus. Er ist ein Vielschreiber. Er beschäftigt sich laufend mit kleinen Notaten. Er befasst sich mit der Theorie des Schreibens, er unterrichtet und gibt sein Wissen weiter. Und er betreibt einen sehr schönen Blog, in dem er seine Alltagsbeobachtungen als Notate, oder in Bildern festhält. Er gibt sehr viel.
  • Ich liebe ihn für seine unglaubliche Sensibilität, die durch die Naturbetrachtungen seiner Kindheit, aber auch seinem Klavierspiel geschult worden ist. Er nimmt Nuancen war. Selten habe ich so Schönes über Obst und Gemüse gelesen. „Birnen sind gut erkennbar, formschön, uneitel, und doch elegant. Sie lehnen ihren Kopf gelassen zu Erde, schließen die Augen und bieten der oberen Welt einen sakralen Stiel, an dem man sie feierlich durchs Land tragen kann. Auch sind sie nicht zu süß und niemals sauer, sondern genau abgeschmeckt, süßherbe Naturen, aus der Gemeinde der herbstlichen Rauchzartgewächse.“ S 59
  • Er kann über sich selbst schmunzeln. Er schreibt in dem Buch einen vermutlich fiktiven Brief seines Sekretariats an einen beliebigen Lesungsveranstalter. Er hält dabei wie ein Popstar detailreich fest, welchen Champagnermarke in der Minibar zu finden sein sollte, wieviele Gläser Frankenwein ihn der Veranstalter vor der Lesung gönnen solle und dass man ihn nach der Lesung die Gelegenheit zu einem spontanen Umtrunk geben solle, aber nach Mitternacht sollte er alleine gelassen werden, um Nachzusinnen. Erst um ca. 2:00 solle man beim Wirt diskret nachfragen, ob Herr Ortheil noch immer nachsinne. Mit diesem Brief hat er auch mich zum Schmunzeln gebracht.
  • Seine Bücher beruhigen meinen Pulsschlag, sie funktionieren wie Baldrian, oder besser, wie der sinnliche Lavendel. Das Beschriebene erscheint vor dem inneren Augen der Leserin in seiner violetten, vielgliedrigen Schönheit. Man meint, es angreifen, ertasten zu können und es zu riechen. Und mit dieser detailverliebten Achtsamkeit strahlen die Texte eine große Ruhe und Gelassenheit aus, aus der ich beim Lesen während meiner stürmischen Zeiten Kraft schöpfen kann.
    Ich liebe seine Eltern. Ich mag wie sei in seinem Werk immer wieder auftauchen und in diesen Figuren seine große Liebe und Bewunderung eingearbeitet wird. Das rührt mein Mutterherz.

Und was nicht:

  • Manchmal nervt mich, dass Ortheil noch immer ein Bub ist. Er wird nicht richtig erwachsen. Ich lese manchmal ein starrköpfiges Insistieren aus seinen Texten. Es nervt mich als Mutter, diese fordernde Kind. Aber vielleicht ist das genau der Punkt, wo er mich persönlich gerade erwischt. ;-). Oder vielleicht ist es auch nur dem Thema des Buches geschuldet, dass die Texte sehr selbstbezogen wirken müssen.
  • Manchmal passiert mir zu wenig. Ich las vor kurzem seinen Roman „Liebesnähe“ Es ist ein sehr anmutiges Buch, darüber wie zwei Liebende zueinander finden. Die beiden verstehen sich ohne Sprache auf seine sehr sensible Art. Das Buch wurde mit japanischen Motiven hinterlegt und spielt auch auf das „Kopfkissenbuch“ an. Leider gibt es keinen echten Konflikt, an dem sich die Geschichte reiben kann, somit ist der Roman zwar sehr ästhetisch, komischerweise auch gar nicht kitschig, aber auch langweilig. Seine an seine Autobiographie angelehnten Werke wie die Berlinreise sind weitaus spannender.

Das Positive überwiegt bei Weitem. So werde ich ihm meinen Neid auf sein Nicht-Erwachsenwerden und die Konfliktscheue in Romanplots nachsehen, wie einen guten, alten Kindergartenfreund seine skurrilen Angewohnheiten und ihn einfach weiterlieben. Ich werde mich tief in meine kuscheligen Polster vergraben und in die Welt des gewissenhaft schreibenden, grauhaarigen Buben Hanns-Josef eintauchen.

Vielen Dank an die Randomhouse Verlagsgruppe für das Rezensionsexemplar von „Was ich liebe und was nicht“


Hanns-Josef Ortheil
„Was ich liebe und was nicht“
Luchterhand
2016
Gebundenes Buch 368 Seiten
€ 23,00
ISBN-13: 978-3630874166