Wo die burgenländische Familie Regner lebte, erzählt uns Helene, die Zuagroaste.
Am Anfang des Romans „Brüchige Ufer“ steht Irma Regners Begräbnis, am Schluss der Selbstmord ihres Sohns Gyula. Zeitlich folgen diese Ereignisse nah hintereinander, doch die Autorin Helene Flöss erzählt dazwischen, warum Gyula, ein angesehener, studierter Mann im Leben nicht glücklich gewesen war. Es ist eine burgenländische Familiengeschichte über drei Generationen.
Gyula wird von seiner Mutter nur Meinbub genannt. Er ist bei ihr auf der Flucht vor den Russen, während ihr Mann Mathias Regner im Krieg ist. Der Bub erkennt den Vater nicht, als er heimkommt und wird im folgenden Ehekrieg immer gegen den Vater ausgespielt. Irma ist unzufrieden, sie hat etwas besseres verdient, und so nörgelt sie ständig an Mathias Regner herum. Der hat mit dem Krieg, seiner Arbeit und den wechselnden Wohnorten genug zu tun, ist rastlos, verschlossen und weiß sich oft nicht mehr zu helfen, als zuzuschlagen. Auch als dann später ein zweiter Bub, der halbtaube Ferenc auf die Welt kommt, der dann ein Vaterbub wird, wird das Kräftemessen in der Ehe nicht leichter. Nicht einmal das selbstgebaute Traumhaus an der Pinka bringt Glück.
Schon seine Mutter, die Malinka-Moahm erkannte das unruhige Gemüt ihres Sohnes Mathias. Malinka Regner musste viel erdulden: Armut, alleine mit den Kindern, während ihr Mann Michael ihn Amerika war, um die Familie erhalten zu können. Sie fand ihre Zuversicht im Glauben. Ihr Mann in der Unruhe und Wanderschaft.
Die Schauplätze im Burgenland wechseln, denn im Burgenland ist Arbeit rar. Mathias Regner muss als Zöllner viel herumziehen. Malinka pendelt schon als junge Frau nach Wien, Irma ebenso, Gyula studiert dort. Wien brauchte die Burgenländer immer als brave Arbeiter. Amerika bot auch Arbeit. Michael wagte den Schritt, kam wieder Heim und weil ihm das Geld wieder zerrann, ging nocheinmal nach Übersee.
Einsamkeit und Rastlosigkeit umgibt die Figuren. Die bittere Armut prägt ihr Leben, das Geschoben sein zwischen den umgebenden politischen Mächten, das nicht wissen wohin man gehört, das Wechseln der staatlichen Zugehörigkeiten macht ratlos.
Die Sprachlosigkeit haben sie mit den Figuren von Michaela Frühstück „Teta Jelka“ gemein. Dort begeben sie sich auf Wanderschaft oder harren geduldig aus. In „Brüchige Ufer“ wird der Enttäuschung Luft gemacht, gezettert, geschlagen, emotional verletzt.
Wir haben es hier mit einem burgenländischen Roman zu tun, der von der Wahlburgenländerin Helene Flöss geschrieben wurde. Die gebürtige Südtirolerin lebt seit 1992 im Burgenland. Sie hat sich mit der Recherche und den sprachlichen Eigenheiten viel Mühe gegeben, hat versucht alle Volksgruppen einzubringen und dem Burgenland gerecht zu werden. Kroatisch wird auch von Gyula gesprochen, ungarisch ist sein Vorname, die Töpfe werden von Roma geflickt und Irma ist bei einer jüdischen Familie im Dienst. Helene Flöss schafft es, sehr plastisch die vergangenen Welten zu beschreiben, mit vielen Details und einem guten Gespür für die Figuren.
„Hätte einer Michael Regner gefragt, was er denn sein, Deutscher oder Ungar, er hätte seinen Hut ein Stück zur Seite geschoben und sich darunter ein wenig verlegen gekratzt. Ungar, hätte er wahrscheinlich geantwortet. Vielleicht hätte er auch gesagt; „Mir redn do deitsch.“. Und der Frager hätte es sich aussuchen können.“ (S44)
Es ist kein Buch für den Abend, um abzuschalten und nachher gut einschlafen zu können. In mir rief es immer eine gewisse Beklemmung und Trauer hervor. Trotzdem ist es ein Buch, dass mir viel verständlich gemacht hat. Die Armut, die in Michaela Frühstücks Buch als Blunzengröstel ohne Blunze vorkommt, ist hier realistischer, greifbarer, spürbarer gemacht. Die Armut und die politischen Verwirrungen, die es hier noch vor zwei Generationen gegeben hat, die unsere Elterngeneration nicht mehr erlebt hat und wir uns nicht mehr vorstellen können, ist in uns. Die Familiengeschichten tragen die Erfahrungen weiter. Wir handeln, weil unsere Großeltern gewisse Erfahrungen gemacht haben, und auch wenn wir uns dagegen auflehnen, reagieren wir darauf. Das zeigt das Buch ganz klar. Denn Gyulia müsste glücklich sein, als angesehener Mann mit einer Villa, einer gute Frau, die ihn so sein lässt, wie er ist. Aber Glück war keine Kategorie in der seine gläubige Großmutter, die mit ihrem Leben am meisten im Einklang stehende Person im Buch, je gedacht hat.
„Die Malinka hatte sich zeitlebens nie gefragt, ob sie glücklich sei. Das war ihr einfach nie einen Gedanken wert gewesen. Darum war es überhaupt nie gegangen. Dafür war ein Mensch gar nicht auf der Welt. Dass die Sorgen nicht allzu groß würden, die Kinder nicht krank, nicht hungrig, dass ihr Mann arbeiten könne und sie selbst auch, so hatten ihre Sehnsüchte ausgeschaut.“ (S67)
Danke an L. F-W. für diese Buchempfehlung.
Helene Flöss
Brüchige Ufer
Haymon Verlag, 2005
EUR 19,90
ISBN 978-3-85218-486-9
256 Seiten, gebunden