
Im Kaffeehaus am Tisch gegenüber sitzt ein Mann zwischen 40 und 50 mit Dreitagesbart. Er hat eine Graphic Novel aufgeschlagen. Welche, kann ich nicht erkennen. Direkt vor ihm liegt ein kleiner Zeichenbock auf dem er mit Bleistift ein Gesicht skizziert. Aus seinem Rucksack, der auf einem Sessel steht, lugen weitere Bücher.
Es wird Zeit in diesem Blog über Graphic Novels zu reden. Bisher habe ich nur Barbara Yelins „Irmina“ vorgestellt und sonst kein Wort über sie verloren. Was ist eine Graphic Novel überhaupt? Ein Comicbuch für Erwachsene, eine gezeichnete und mit Text versehene Geschichte (Wikipedia erklärt das natürlich genauer). Oft wird diese Form gewählt, um einen Werdegang oder eine persönliche Geschichte zu erzählen, oft werden Reiseberichte so verpackt. Es gibt viele Frauen als Zeichnerinnen und Autorinnen im Graphic Novel Genre. Ich mag am liebsten fiktive Geschichten.
Ein paar Bücher, die mir gefallen, stelle ich hier vor:
„Rosalie Blum“ von Camille Jourdy
Ein Buch über Einsamkeit und wie sie überwunden werden kann. Vincent, ein introvertierter Friseur trifft ständig auf eine Frau, die er meint, von irgendwo her zu kennen. Rosalie Blum. Er folgt ihr, und wird dabei selbst verfolgt. Das Buch hat sehr liebevoll gezeichnete Charaktere, deren Schrullen viel Platz gegeben wird. Die Zeichnungen bestehen aus schwarzen, dünnen Konturen und sind in kräftigen Pastelltönen koloriert. Sie zeigen oft auch Stillleben aus dem Alltag.
„Heute ist der letzte Tag von Rest deines Lebens“ von Ulli Lust
Diese Grafik Novel ist ein gutes Beispiel für einen Erlebnisbericht. Die junge Ulli Lust war als Punk in Italien unterwegs und hat dort als Frau allerhand einstecken müssen. Die in Österreich geborene Ulli Lust zeichnet in dicken, manchmal schlampig wirkenden Strichen. Farbe kommt nur über schmale hellgrüne Flächen ins Spiel. Dadurch entsteht eine gewisse spontane Skizzenhaftigkeit.
„California Dreamin’“ von Penelope Borgien
Hier wird die Geschichte von Cass Elliott und der Musikgruppe „The Mamas and The Papas“ erzählt. Die talentierte Sängerin Cass wird zu dick für das Showgeschäft gehalten, sie folgt aber recht hartnäckig ihrem Traum Sängerin zu werden. Die junge französische Zeichnerin schafft mit Bleistift unglaublich ausdrucksstarke Figuren. Selten waren für mich Emotionen in Zeichnungen deutlicher ablesbar. Wunderbar! Auch hier geht es darum, was es heißt Frau zu sein und nicht der Norm zu entsprechen.
„Persepolis – Eine Kindheit im Iran“ von Marjane Satrapi
Diese Grafic Novel ist mittlerweile ein Klassiker.
Sie erzählt aus dem Leben einer junge persische Frau. Es geht aber auch um Wien, wo sie zur Schule geht. Und das Wien, das hier gezeichnet wird, ist nicht sehr nett. Ich, als in Wien lebende, konnte so einmal eine andere Seite dieser Stadt betrachten. Das Buch erklärt, was es heißt, Perserin zu sein. Gezeichnet ist es ausschließlich in Schwarz und Weiss, mit vielen schwarzen Flächen, ein Stil, der mittlerweile zu Satrapis Markenzeichen geworden ist. Es gibt auch noch Folgebücher und einen auch von Satrapi gezeichneten Film.
Der Mann vom Tisch gegenüber beginnt seine Sachen zusammenzupacken. Ich sehe, es war nicht mein Gesicht, das er gezeichnet hat. Es ist ein männliches mit Bart. Und dann schaut er zu mir. Er hebt die Graphic Novel langsam vom Tisch und hält dabei Blickkontakt. So als ob er mir den Titel zeigen wollte. „Couch Comic- wie eine Psychotherapie funktioniert“ von Philippa Perry. Eigentlich ist es keine Graphic Novel, sondern ein Ratgeber mit Bildern. Ich fühle mich erwischt und senke meinen Blick. Ich überlege noch, was er mir damit sagen will, ob ich ihn darauf ansprechen soll, als er schon weg ist.
