Wir Hauskatzen

Meine Kollegin fragte mich am letzten Freitag, ob ich ein Haus am Land wüsste, dass sie über den Sommer mieten kann. Sie brauche dieses satte, freie, träge Sommergefühl. Ich verneinte, erzählte aber, dass ich auch Sehnsucht nach dem Land habe, weil ich da gerade so ein Buch gelesen habe. Sie fragte, welches denn? „Unterleuten“ von Juli Zeh. Sie lachte. Das lese sie auch gerade.

Wie kann ein Buch, das das Landleben alles andere als idealisiert so eine Sehnsucht hervorrufen?

Im Buch geht es im Wesentlichen um die Errichtung eines Windparks in einem kleinen, ehemaligen DDR-Ort im Umland von Berlin. Dort leben Alteingesessene, die es gewohnt sind, ihre Angelegenheiten durch gegenseitigen Gefälligkeiten und ohne Polizei zu regeln. Und es gibt auch zugezogenen Landromantiker, die außerhalb des sozialen System stehen und ganz andere Interessen haben. Mit dem Windpark brechen alte Rivalitäten wieder auf, und neue entflammen. Es werden Reifen angezündet, Bäume fallen, Autos werden falsch geparkt, Hunde ausgesetzt und noch viel schlimmeres passiert.

Jedes Kapitel des Romans wird aus der Sicht eines anderen Dorfbewohners erzählt. Dadurch wird die Geschichte vieldimensional und die Motive der einzelnen erkennbar. Das bringt auch eine Spannung, die den Leser gut durch den dicken Roman trägt, auch wenn manche Dinge konstruiert wirken und die sprechenden Benamungen nerven.

Es steckt Wahrheit im Roman. Große Konflikte werden im Kleinen sichtbar gemacht. Kurz vor Schluss gibt da einen Satz der mir Gänsehaut gemacht hat. Eine Diagnose unsere Zeit.

„Wenn der Glaube an das Gute versagt, muss er durch den Glauben an das Eigene ersettz werden.“

Und ich denke an meine Ideale, meinen Glauben, daran, dass ich immer gewusst habe, was richtig ist. Heute weiß ich es nicht immer. Ich bin aufgewachsen in Sicherheit und merke, wie ich in der schwankenden Welt nicht mehr klar unterscheiden kann. Was bleibt? Ich schaue auf mich und meine Lieben.

Und meine Kollegin meint dazu: „ Ja, wir sind Hauskatzen. An die Ideale kannst du glauben, wenn alles passt, wenn keine Bedrohung herrscht. Das Eigene, die eigene Haut zu retten, das habe ihr ihr Großvater, der den Krieg erlebt hat, beigebracht. Für ihn sind wir Jungen verwöhnte Hauskatzen.“

Zurück also zur Landsehnsucht? Was macht sie aus?

Natürlich ist es zum einen die Natur, das Ursprüngliche, die Unmittelbarkeit des Lebens, der Zyklen. Die Möglichkeit wieder eine unabhängige, starke Wildkatze zu werden. Es ist auch der Besitz, das eigene Haus, das eigene Land, das worüber wir selbst bestimmen können. Aber es ist auch das soziale Gefüge, das Bekannte, das Überschaubare, das Beeinflussbare. Ein Dorf bist nicht nur du. Das bist du, deine Familie und die Generationen vor dir. Und das sind die anderen, die manchmal gleichgesinnt sind, manchmal auch nicht. Aber das ist egal, denn du kennst sie alle in dieser überschaubaren Welt.