Ich bin weder einen Marathon gelaufen, noch habe ich einen Roman geschrieben. Doch ich bis jetzt dachte ich, beides sei vergleichbar. Man steckt eine möglichst gute, ebene Strecke ab, beseitigt alle Hindernisse (Autos, Fußgänger, Ampeln) mache sich schlau, wo Erfrischungsstationen sind und trainiere hart. Man weiß, die 42,195km wird einem bis auf dem inneren Schweinehund und die Kondition nichts in die Quere kommen, denn der Weg ist festgelegt und gesichert. Man kennt den Start und das Ziel.
Übersetzt ins Schreiben, glaubte ich daran, dass das Plotten bei längeren Texten absolut notwendig sei. Beim Plotten kenne ich alle Figuren, weiß, was die Ausgangssituation ist, wie die Geschichte enden soll und wie die Figuren die Herausforderungen meistern werden. Ich muss dann nur noch Schreiben.
Ich beginne meine Texte damit, dass ich einfach darauf los schreibe. Aber ich verliere ab einer Textmenge von 30.000 bis 40.000 Zeichen den Überblick. Ich weiß nicht mehr, wie die eine Nebenfigur heißt, ich weiß nicht mehr, welche Autofarbe ich gewählt habe oder ob die beste Freundin älter oder jünger war, als die Hauptfigur.
Dann erfasst mich die Panik. Ich beginne mit einer Mindmap (z.b.: Free Mind), wenn das Projekt nicht zu groß ist, oder mit einer Plottechnik (z.B.: die Schneeflocken-Methode), „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt“ von James N. Frey).
Nach drei aufwändigen Versuchen weiß ich, dass das der Tod des Textes ist. Er wird nicht mehr fertig, er wird nicht besser. Ich investiere viel Zeit, habe Spaß beim Plotten, richtig Spaß, trotzdem bekomme ich den Text nicht wieder in den Griff. Er wird langweilig, vorhersehbar, klischeehaft, wie ein deutscher Fernsehfilm mit dem obligatorischen schwulen Freund.
Jetzt erzählt mir ein professioneller Läufer, er plottet nicht. In „Das Leben und das Schreiben“ erzählt Steven King, er sucht sich einen Startpunkt und läuft einfach drauf los. Er nimmt dabei nur seinen Werkzeugkoffer mit und vertraut darauf, dass da alles darin ist was er brauchen wird. Wie bei einem Orientierungslauf, kennt er die Streckenführung nicht. Die Kontrollpunkte lässt er einfach auf sich zukommen.
King hat den Stadtmarathon probiert, aber auch er mochte die Ergebnisse nicht. Er meinte, es sei besser für den Leser, wenn der Autor selber noch nicht weiß, wie die Geschichte enden werde. Er versucht eine möglichst kniffelige Ausgangssituation zu finden und schreibt dann einfach ein Kapitel nach dem anderen. Er hat Hoffnungen, wie es enden möge, aber sicher kann er sich nicht sein.
Das gibt mir auch Hoffnung. Obwohl ich den Verdacht habe, dass das nur jemand kann, der gut austrainiert ist und kontinuierlich schreiben kann.
Jetzt muss ich überlegen wie ich die nächste Panikattacke meistere und den Text am Leben lasse, auch wenn ich das Gefühl habe, er entgleitet mir.