Letztes Wochenende hat mich ein Zenseminar aus meinem Lesealltag gerissen. Seither fühle ich mit seltsam. Ich bin ganz kribbelig, mein Kopf unfokussiert, ich schaue ständig auf das Bücherregal mit den noch nicht gelesenen Büchern und sauge jede Zeitungszeile auf, die mir am WC, bei Tisch oder in der U-Bahn unterkommt. Ich hatte vier Tage lang keine Zeile eines Buches gelesen und musste mir schließlich eingestehen, dass ich an einem Lesenotstand leide.
Nervösität
Der Lesenotstand ist von mir gefürchtet. Normalerweise sorge ich gegen erzwungene Lesepause vor. Ich habe immer eine Reihe Bücher in der Lesewarteschleife, damit ich niemals in Verlegenheit komme, nichts zum Lesen zu haben. Ich fahre mit mindestens zwei Büchern im Gepäck in ein Wochenende oder packt ein zweites in die Handtasche, wenn das aktuelle nur mehr wenige ungelesene Seiten aufweist. Das Gewicht spielt dabei kaum ein Rolle.
Ich werde nervös, wenn mein Mann kein Buch mehr hat, wenn mir meine Schwester erzählt, sie fährt ohne eine Buch auf Urlaub und hofft erst am Umsteigeflughafen sich eines kaufen zu können. Mein ärgster Alptraum! Und ich frage mich manchmal, ob das nicht schon eine Krankheit ist?
Gelernt habe ich nun, dass ich gegen einen Lesenotstand aus Zeitgründen kein funktionierendes Vorsorgesystem habe.
Entladung
Der Lesenotstand hat sich in einer Blitzaktion in der Bücherei entladen. Ich habe vorgestern in ein paar freien Minuten am Weg vom Bücherregal zur Entlehnstation schnell Nicolas Mahlers „Alte Meister“ gelesen. Das dünne Büchlein ist eine Art Graphic Novel, die auf einen Text von Thomas Bernhard aufgebaut ist. Was soll ich sagen? Der Text ist gut, die Zeichnungen entbehrlich. Aber das Leseerlebnis war, wie wenn man nachdem man brav Süßes fastet (was ich noch immer mache), plötzlich ein Stück Torte isst. Köstlich, erleichtern! Und man will noch mehr.
Vielleicht ist es das, worum es bei der Zenmeditation geht? Sich auf das Nichts, das Hier und Jetzt, die Entsagung zu konzentrieren, um dann wieder die Fülle genießen zu können. Ich habe erst am Wochenende damit in Bad Blumau (der besten Therme überhaupt, weil sie die einzige ist, die wirklich schon lange und auch ganzheitlich auf Ökologie setzt) begonnen und probiere nun aus täglich 20 Minuten zu meditieren. Das ist die Härte, kann ich euch sagen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das auf Dauer für mich etwas ist, denn Zen basiert auf einer mündlichen Tradition und hält nicht viel von Schriften. 😉