Mutterleseglück – Teil 5: Geburt

Ich, die leidenschaftliche Leserin, hatte mir sogar Lektüre für die Geburt besorgt. Ich war optimistisch, dass ich mich, sowie andere Frauen durch Musik, durch ein gutes Buch beruhigen lassen würde. Ich hoffte, dass wenn die Geburt lange dauern würde sie Zeit haben würde zu lesen oder zumindest danach, wenn ich drei Tage im Spital verbrachte. Die Geburt selber dauerte tatsächlich lange. Vom vorzeitigen Blasensprung bis zur tatsächlichen Geburt vergingen ca. sechzehn Stunden. In den ersten Stunden wäre womöglich die Zeit dafür gewesen. Nur setzten die Nervosität und die Hormone den Kopf außer Kraft. Ich konnte kaum klar denken.

Auch die Tage im Spital schaffte ich nur eine Seite von Alice Munros „Himmel und Hölle“. Auch wenn das Baby schlief, auch wenn ich keinen Besuch hatte, auch wenn nicht die Putzfrau, die Schwester, die Ärztin oder die Physiotherapeutin im Zimmer waren. Ich hatte unterschätzt, was es heißt, fast nichts zu schlafen, einen ganzen Tag ohne Essen aufzuholen und einen enormen Blutverlust wieder ausgleichen zu müssen. Mein Körper sehnte sich nicht nach den schönen Künsten. Er brauchte Schlaf und Futter, damit er für das kleine Baby da sein konnte. Trotzdem würde ich mir für eine weitere Geburt wieder ein Buch einpacken, denn ich verlasse auch sonst nur mit Buch das Haus. Denn ohne fühle ich mich nackt und hilflos.