Also was bleibt dann noch? Was kann ich dann noch als Schwangere lesen?
Es gibt nur eine Antwort: der gute alte Familienroman. Im Familienroman trifft die Geburt des einen, auf den Tod des anderen. Der ewige Kreislauf trägt die Geschichte weiter über die Generationen. Das tröstet ungemein und zeigt der stolzen werdenden Mutter, dass sie einen Beitrag leistet, damit auch ihre eigene Familiengeschichte eine Zukunft hat.
Familienromane betrachten die Handlung über einen längeren Zeitraum und haben ein großes Figurenrepertoire, sie sind daher meist dicke Wälzer. Ich empfehle sie deshalb speziell für die letzten, abwartenden Schwangerschaftsmonate.
Im deutschsprachigen Raum wird beim Schlagwort Familienroman zuallererst die „Buddenbrooks: Verfall einer Familie“ von Thomas Mann genannt. Doch Thomas Manns Romane haben meist männliche Hauptfiguren, die Frauen sind schönes, fremdes Beiwerk. Ich würde also Manns Geschichten während der Schwangerschaft auf die Seite legen.
Wenn es aber ein Klassiker der Literaturgeschichte sein soll, wenn auch nicht der deutschen, dann bitte „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi. Der in meiner Ausgabe 1291 Seiten starke Wälzer ist zwar kein klassischer Familienroman, zeigt jedoch seine Figuren über einen langen Zeitraum. Familien ver- und entflechten sich, junge Mädchen erblühen, Männer reifen. Aufgrund des langen Betrachtungszeitraumes können sich die Figuren gut entwickeln. Auch Frauenrollen werden von Tolstoi ernst genommen.
Allerdings gibt es zwei Nachteile. Wie wir schon dem Titel entnehmen, befinden wir uns zeitweilig im Krieg, er wird zwar nicht blutrünstig geschildert, dennoch kann er etwas beklemmen. Und der zweite Nachteil ist, im Roman verliert eine Frau bei der Geburt ihres Babys ihr Leben. Das ist die Tücke des historischen Familienromans. Er erzählt für die damalige Zeit realistisch, dass viele Frauen im Kindbett ihr Leben verlieren. Aber das darf deinen nicht zu sehr beunruhigen, die heutige Medizin ist schon weiter fortgeschritten. Trotzdem dieser kleinen Einschränkungen kann ich „Krieg und Frieden“ der Schwangeren mit viel Lesezeit ans Herz legen.
Im folgenden empfehle ich eher Autoren als Werke. Bei alle diesen Autoren handelt es sich um Vielschreiber, die sich in einem Genre aufhalten.
Wie zum Beispiel Isabel Allende: „Das Geisterhaus“. Ihre Roman sind immer um weibliche Hauptfiguren gestrickt, denen etwas besonderes, geheimnisvolles anhaftet. Meist sind sie gute Unterhaltung, handwerklich solide gemacht aber die große Offenbarung darf man sich nicht erwarten.
Natürlich fällt mir da auch gleich Gabriel García Márquez und seine „Hundert Jahre Einsamkeit“ ein. Hier lauert nur die Gefahr, dass man irgendwann die Figuren nicht mehr voneinander unterscheiden kann, denn über Generationen heißen die Männer immer gleich.
Oder was immer nett ist, ein John Irving. John Irving hat vor allem seine letzten Romanen als Vater-Sohn-Geschichten angelegt: „Bis ich dich finde“ und „Letzte Nacht in Twisted River“.
Ich habe in der Schwangerschaft bevorzugt Romane von der Amerikanerin Joyce Carol Oats gelesen. Das sind solide gemachte Familiengeschichten. Die Familien sind nie perfekt, die Figuren sehr plastisch, man lebt gerne mit. Allerdings gibt es auch hier einen Hang zum Sterben. Wie die beiden Ehemänner im „Niagara“, sodass die spröde rothaarige Ehefrau ihre drei Kinder alleine durchbringen muss.
Zuletzt sei noch ein österreichischer Autor empfohlen: Arno Geiger. Sein klassischer Familienroman „Es geht uns gut“, der das Leben dreier Generationen erzählt, hat den deutschen Buchpreis gewonnen. Ich habe ihn sehr gerne gelesen, obwohl ich manchmal Zweifel an der Glaubwürdigkeit der weiblichen Figuren gehabt habe. Was mich aber noch mehr berührt hat, war Geigers letztes Werk „Der alte König in seinem Exil“. Ein wunderschönes Buch über den demenzkranken Vaters des Autors. Die Geschichte macht zwar eine traurige Grundstimmung, bringt einem aber immer wieder zum Schmunzeln, vor allem, wenn man Ähnliches auch gerade in der Familie erlebt.
Arno Geiger behandelt in beiden Büchern nicht die ihm nachfolgende Generation, sondern die im vorhergehende. Auch um die Vorfahren darf man sich in der Schwangerschaft Gedanken machen, dann man wird bald merken, wie die Eltern und Großeltern einen beeinflussen/beeinflusst haben, und was man davon ohne zu überlegen an sein Kind weitergibt.
Natürlich gibt es noch eine unendliche Liste an Büchern, die hier noch stehen könnten. Und natürlich kann die Schwangere auch die von mir im folgenden empfohlenen Bücher für die junge Mami lesen, nur wird sie es mit anderen Augen tun. Denn die Leserin als Mami bleibt nicht wie sie war.
Erstveröffentlichung: 2012-07-10 09:27